Célimène et le cardinal

Célimène et le cardinal (Célimène und der Kardinal)

Theaterfilm, Theaterstück Frankreich 2006
Regie: Jacques Rampal  Autor: Jacques Rampal Kamera: Hadrien Courtier Schnitt: Sébastien Tézé  Beleuchtung: Addib Kharrat   Produktion: L’Harmattan, Lucernaire, Les films d’un jour Aufzeichnung der Inszenierung im Theater Lucernaire. Verleihstart DVD: 22.08.2006
Darsteller:
Claude Jade (Célimène), Patrick Prejean (Alceste).

Zwanzig Jahre nach Molières „Der Menschenfeind“ treffen Célimène und Alceste erneut aufeinander. Alceste ist inzwischen Kardinal. Er lädt sich in das Haus seiner ehemaligen Geliebten Célimène ein, um eine hübsche Frau in den Vierzigern zu finden, die weit weg vom Hof, den sie durch die Heirat mit einem Bürgerlichen „verraten“ hat, mit ihren vier Kindern vollkommen glücklich zu sein scheint. Doch was hat der Kardinal mit dieser harmlosen Frau vor? Sie retten! Er behauptet, dass er seit Monaten von einem schrecklichen Traum verfolgt wird, den er für eine Botschaft des Himmels hält und in dem Célimène in tödlicher Gefahr schwebt … Célimène hat sich jedoch hinter ihrem bürgerlichen Glück weiterhin ihre Freiheit bewahrt.
Eine großartige Rolle, ihre letzte, erhält Claude Jade nach einer der Öffentlichkeit diskret verschwiegenen Krankheit.   Jacques Rampal, der das 1966 erschienene Stück von Molière 1992 als feministische Komödie gegen Intoleranz fortsetzte, inszeniert selbst.

Jean-Daniel Verhaeghe, bei dem Claude Jade in „Eugénie Grandet“ und „Sans famille“ gespielt hatte, will sie als Thérèse de Fontanin neben Jean Yanne in „Les Thibault“ (2003) besetzen. Es ist eine Rolle, die ihrem Alter entspräche, doch die Produzenten verjüngen die Rolle und nehmen eine 14 Jahre jüngere Aktrice. Claude Jade ist ihnen „nicht jung genug“. Der Jugendwahn im Fernsehen ist eine skandalöse Ignoranz: Gerade Frauen jenseits der 50 strahlen ein größeres Spektrum aus und haben mehr Lebenserfahrung als eine junge Frau und die Entscheidung der Produzenten ist beschämend.
Während es unter den Hüten einiger Produzentenköpfe an Verstand mangelt und für die eine Schauspielerin „fuckable“ sein muss, erscheint 2005 ein ausgezeichneter Autor und Regisseur, der Claude Jade in ihrem 58. Lebensjahr en revanche für eine 17 Jahre jüngere Rolle besetzt.

Patrick Préjean (Alceste) und Claude Jade (Célimène) in „Célimène et le cardinal“

Wie in ihrer ersten Bühnenhauptrolle als Agnès in „Die Schule der Frauen“ spielt Claude Jade erneut eine Molière-Heldin. Nur enstammt diese Célimène dem Geist des Autors und Regisseurs Jacques Rampal, der die Geschichte um Célimène und Alceste aus Molières „Menschenfeind“ fortgesetzt hat – in Alexandrinern, als stammte das Stück aus dem 17. Jahrhundert und von Molière selbst. Ludmila Mikaël und Danièle Lebrun hatten die Célimène bisher 1993 und 1996 unter Maurice Frydland und Bernard Murat gespielt. Am Pariser Lucernaire führt Jacques Rampal nun selbst Regie.

Claude Jade, Celimene et le cardinal, Jacques Rampal

Als Jurypräsidentin des Theaterfestivals der Arlequins in Cholet freut sich Claude Jade in einem Interview: „Ich will sie unbedingt spielen, denn ich weiß, dass es  eine Rolle für mich ist. Ich weiß, wie ich sie spielen werde und dass sie mir viel Spaß bereiten wird.“

In Alexandrinerversen begegnen sich hier Claude Jade und Patrick Préjean unter der Führung des 62jährigen Dramatikers als die 340 Jahre zuvor von Molière erschaffenen und seitdem unsterblichen Figuren Célimène und Alceste. Célimène ist inzwischen vierzig Jahre, verheiratet, Mutter von vier Kindern und pflegt ihre Gedanken dem Mann entgegenzuschmettern, der Kardinal geworden ist. Auch wenn er von ihr nicht als Monseigneur sondern als Alceste angesprochen werden will, liefern sich beide einen hierarchischen und feministischen Kampf um die zweifelhafte Bedeutung des Klerus.

Alceste (Patrick Préjean) bezichtigt Célimène (Claude Jade) der Blasphemie und ist zugleich von ihrer Schönheit hingerissen.

Das Stück behandelt in erlesener Qualität, unter temporeichen Wendungen und mit exquisitem Humor Themen wie die religiöse Intoleranz, den Fanatismus, die Stelle der Frau in der Gesellschaft, die Erziehung, die Nostalgie der Zeit, die vergeht, und die Ewigkeit dieser beeindruckenden Liebhaber, die Alceste und Célimène sind.
Zu Beginn des energischen  Dialogs scheint der Kardinal Macht über Célimène zu haben; im XVII. Jahrhundert ist der Einfluss des Prälats beträchtlich. Er hat sich im Übrigen bei ihr „eingeladen“, um sie „zu retten“! Er erklärt sich seit Monaten von einem Traum verfolgt, der ihm Entsetzen einjagte und den er als Mitteilung des Himmels annimt: der blasphemischen Célimène würde eine tödliche Gefahr drohen.

Der Kardinal (Patrick Préjean) droht Célimène (Claude Jade) wegen Kleruskritik mit Exkommunion.

Aber Alceste ist mit sich selbst selten ehrlich und die emanzipierte Célimène ist ihm nicht nur darin überlegen. Als er in ihrem Haus vergeblich nach einer Bibel sucht und nur philosophische Werke, Romane und einen Molière findet, entdeckt er ein Buch mit Aktzeichnungen Célimènes. Sie überrascht ihn beim Blättern und Alceste fordert von ihr Buße für die Bilder , die ihr Mann gefertigt hat. Doch von einem vorgehaltenen Kreuz lässt sich Célimène nicht in die Knie zwingen. Sie wird dem Kirchenmann die Leviten lesen. Also ab zur Beichte, wo der Tod einer von Célimène erschlagenen Ratte für den Kardinal nicht so schwer wiegt wie ein paar Zeichnungen.

Célimène beichtet eine Todsünde: Da lief sie, die riesige Ratte, die sie gestern erschlagen hat.

Interessanter wird für Alceste die Beichte, dass ihr zweiter Sohn einem alten Freund frappierend ähnelt: Philante! Zwanzig Jahre nach „Le Misanthrope“ streiten und lieben sich die Liebenden von Molière noch immer und für immer…  Claude Jade, die erstmals 1964 in einem Molière-Stück spielte, zieht alle Register ihrer 42jährigen Schauspielerfahrung. Auf die hektische Nervosität Célimènes zu Beginn des Stückes, als das Eintreffen der Kutsche und der Widerhall von Alcestes Schritten auf dem Pflasterschein ertönen, folgen ein Aufbäumen, ein Nachgeben, feiner Spott und bittere Ironie.  Und Célimène wird im Gegensatz zu Alceste den Schmerz zulassen.

An den Fäden der schönen Frau in dem goldenen Kleid zappelt der scharlachrot gewandete Kardinal, dessen Weltbild sie voller Leidenschaft unter Tränen und Lachen aus den Fugen hebt.

Am Ende des über einhundertminütigen Dialogs, bei dem die wenigen schnell zurückgezogenen Berührungen zaghaft und die Worte unverblümt sind, überlässt Célimène dem noch immer in sie verliebten Monseigneur Alceste die heimlich eingesteckten Zeichnungen. Und sie, die sich nicht hat bekehren lassen und keine Angst vor Gott, dem alten Komplizen,  noch vor dem Teufel hat und weiter nach ihrer eigenen Facon beichtet, wird im Schlussbild seinen roten Kardinalshut behalten.

Jean-Luc Jeener von „Le Figaro“ lobt die großartige Inszenierung am 8. März 2006: „Es begeistert vor allem die Freiheit der Schauspieler: Claude Jade, bei der man froh ist, sie wiederzusehen, ist sehr gut als provokante Frau, die mit ihren Finessen Patrick Préjean, den Diener Gottes, durchrüttelt. Er glaubt. Und sie hingegen sprüht. Es ist unmöglich ihr zu widerstehen.“
Sébstien Bei von „Marianne“ stimmt am 5. April ein: „Poquelin ergänzen? Wäre das nicht Selbstmord ? Pure folie ! Purer Wahnsinn! Ecrite en alexandrin, le verbe n’en est pas moins contemporain, et les sujets traités, d’une brûlante actualité. Doch das Stück ist ein kleines Juwel an Schalk und Satire, das Molière wohl sicher nicht verleugnet hätte. Geschrieben in Alexandrinern, sind die behandelten Themen von brennender Aktualität. L’interprétation des excellents comédiens, Patrick Préjean et Claude Jade, donne à cette pièce résolument moderne, le cachet d’un grand classique. – Die Darstellung der hervorragenden Schauspieler Patrick Préjean und Claude Jade verleiht diesem modernen Stück das Siegel eines großen Klassikers.“

Beim 55. Festival von Sarlat schwärmt « Le Litteraire »: „Ein Text, der große Schauspieler erfordert. An diesem Donnerstag, dem 2. August, übertragen mit Claude Jade und Patrick Préjean zwei brillante Interpreten diesen Glanz auf  Rampals Stück. Gesten, Körperhaltung, Phrasen und Blicke… die Körpersprache der beiden hat eine perfekte Natürlichkeit und die Alexandriner erfahren durch sie eine ungeheure Spontaneität. Der Zuschauer kommt in den Genuss einer Aufführung zweier sehr großer Schauspieler.“

Im Sommer 2006 erscheint die  Verfilmung der Inszenierung auf DVD – sie bleibt beständiges Testament einer großen Schauspielerin. Ihr letztes Stück und zugleich ihr letzter Film ist eine Hymne an die triumphierende Liebe, einen positiven Feminismus, verkörpert durch eine verblüffend frische und lebenshungrige Célimène angesichts Alcestes emotionaler Behinderung, und ein subtiles Plädoyer gegen alle Formen der Intoleranz.

Eine ihrer letzten Vorstellungen als Célimène gibt Claude Jade am 4. August beim Festival von Sarlat in der Abtei Sainte-Claire. „Das Festival entflammt“, nennt David Briand seinen Artikel in „Sud Ouest“. Er schreibt begeistert über das deliziöse Spiel des Paares Jade und Préjean und schwärmt besonders von Claude Jade als Célimène: „Sie ist sehr turbulent und wendungsreich in ihrer vollen Spontaneität und Frische“.

Die Aufführung wird von ansässigen Mietern in Abteinähe gestört, die bereits vorangegangene Aufführungen des Festivals  boykottiert hatten. Die Anwohner fahren unentwegt dröhnend die Auffahrt zwischen dem Garten und ihrem am Aufführungsplatz gelegenen Haus auf und ab und beschallen das Stück mit lauter Musik aus aufgerissenen Fenstern. Hier ist kein François Beaulieu auf der Bühne, der wie einst in Lyon bei „La Guerre de Troie n’aura pas lieu“ die Rabaukenschüler zur Ruhe mahnt. In „blühender Sprache“, so Briand, beschimpft das vom Stück begeisterte und von den lärmenden Anwohnern in Rage gebrachte Publikum der ausverkauften Vorstellung die ansässigen Mieter, die ihrerseits nicht an Kraftausdrücken sparen. Beleidigungen und physische Einschüchterung folgen, es entstehen Zorn und Gereiztheit im Publikum, bis das Stück fortgesetzt und unter Ovationen beendet wird.

Claude Jade im Januar 2006 in der TV-Show „Cette année la“ auf France3

Was der Öffentlichkeit beim Triumph der gerade von Kritik und Publikum gefeierten Schauspielerin verborgen bleibt: Claude Jade, die neben dem Theater einen ihren letzten öffentlichen Auftritte mit Sonnenbrille in der TV-Show „Cette Année Là“ im Januar 2006 auf France 3 hat, spielt die Célimène mit einer Prothese. Nachdem 2005 im linken Auge ein Tumor entdeckt wurde, muss es entfernt werden. Sie spielt ihre letzte Rolle nach dem Tumult in Sarlat bis zum 8. August 2006. Der Krebs ist wieder da und befällt die Leber. Claude Jade stirbt am 1. Dezember im Hôpital Ambroise-Paré de Boulogne-Billancourt. Bei der Trauerfeier sagt Jacques Rampal: „Sie war eine große Ausnahme in diesem verfluchten Milieu der Ellenbogen, die immer an die anderen dachte. Ihr Leben endete auf der Bühne, es endete in Schönheit und in einer großartigen Vorstellung.   Es war der 8. August. Es war gestern.“