Heute wird Anna Karina 75.

Anna Karina in „Pierrot le fou“, Claude Jade in „Domicile conjugal“
Hatte François Truffaut seine Muse Claude Jade am Theater entdeckt, so sah Jean-Luc Godard Anna Karina erstmals in einem Werbespot für Palmolive. Hanne Karin Blarke Bayer wollte wie Claude auch schon früh Schauspielerin werden, doch während Claude bereits mit 15 das Konservatorium besuchen durfte, hätte die 17jährige Dänin bis zu ihrem 21. Lebensjahr darauf warten müssen, an einer Schauspielschule angenommen zu werden.
Ein dänischer Kurzfilm, in dem sie auftritt, läuft in Cannes – und Hanne Karin bleibt in Frankreich, wo sie sich mit dem Traum von Film und Theater als Model durchschlägt. Coco Chanel soll ausgerufen haben: „Schauspielerin? Nicht mit diesem Namen!“ Aus Hanne Karin Blarke Bayer wird Anna Karina – und bald darauf die Frau und Muse Godards.
Fast acht Jahre später wird aus der acht Jahre jüngeren Claude Marcelle Jorré – auf Anraten ihrer Tante, von der sie „Coco“ genannt wird – Claude Jade.

oben: Karina, Brialy; unten: Jade. Léaud
Beide Schauspielerinnen sind privat und beruflich Wegbegleiterinnen der Begründer der Nouvelle Vague. Während Claude Jade Truffaut auf seinem Weg vom Bahnbrecher des formalen Experiments zum romantischen Erzähler begleitet, entwickeln sich die Arbeiten von Karina und Godard gegenteilig.

Anna Karina und Claude Jade 1987 in „mardi cinema“
In Pierre Tchernias „Mardi cinema“ stellt Claude Jade 1987 „L’homme qui n’était pas là“ vor und Anna Karina „Dernier été à Tanger“. In der TV-Sendung treffen die Musen der führenden Köpfe der Nouvelle Vague zusammen: Die beiden stellen ihr Filmwissen unter Beweis, in dem sie abgedeckten Gesichtern die passenden Namen zuweisen. So verfeindet Truffaut und Godard seit ihrem endgültigen Bruch 1973 bis zuletzt waren, so verspielt und einander zugeneigt begegnen sich Anna Karina und Claude Jade.
Im gegnerischen Team weisen Julien Guiomar und Anthony Delon den verdeckten Gesichtern diverser Filmpartner Anna Karinas und Claude Jades die jeweiligen Namen zu. Zwischenrufe aus dem Publikum lassen erkennen, dass weder „Mon oncle Benjamin“ noch „Le Pion“ und schon gar nicht „Baisers volés“ vergessen sind, ebenso wenig „Pierrot le fou“ oder „Une femme est une femme“ . Doch den meisten Kinogängern der ausgehenden 80er Jahren sind Anna Karina und Claude Jade – wenn überhaupt – Begriffe einer anderen Epoche.

Anna Karinas letzter Aufsehen erregender Filmauftritt ist 2002 ein Cameo in Jonathan Demmes furchtbarem „Charade“-Remake „The Truth about Charlie“ – es sollte eine Hommage an ihre Glanzzeit werden.

Wünschen wir ihr zum 75., dass sie weiterhin inspiriert und – vielleicht – würdevoll wiederentdeckt wird.