Nestor Almendros

Nestor Almendros auf Gruppenfotos zu „Domicile conjugal“ (vorn mit dem kleinen Christophe Vesque) und „L’amour en fuite“ (mit Mütze hinter der Kamera)

Nestor Almendros (1930-1992) wäre heute, am 30. Oktober, 90 geworden. Er filmte Claude Jade in „Domicile conjugal“ und „L’amour en fuite“. In ihren Memoiren „Baisers envolés“ erinnert sie sich an ihre erste Zusammenarbeit 1970: „Er hatte gerade bewundernswerte Aufnahmen von ‚L’enfant sauvage‘ in Schwarzweiß erschaffen. Er ist ein wahrer Künstler, ein kultivierter und warmherziger Mann, der auch auf die Schauspieler achtet und genau weiß, was François will. Bei ihm ist das Licht viel weicher als das bei ‚Baisers volés‘. Es verwöhnt mich, man kann auf den Bildern die Farbe meiner Augen sehen, und ich habe hervorragende Nahaufnahmen. Nestor, in den USA sehr gefragt, und François werden zusammen neun Filme machen. Die Familie der Carrosse ist nun vergrößert.“

In „Liebe auf der Flucht“ erhält Nestor Almendros eine schöne Widmung. Antoine hat seinen Scheidungstermin vergessen und Christine sagt, er habe sicher auch ihren Hochzeitstag vergessen. Antoine: „Das ist der 26. Februar.“ Weshalb er Datum wisse, fragt Christine. „Aber das ist doch der Nestor-Tag.“

Christine: Antoine, ça c’est vraiment énorme ! Oublier le jour de son divorce ! Si je racontait ça, personne ne me croiait.

Antoine: Et pourtant, il y a des choses incroyables qui sont vraires.

Christine: Je suppose que tu as oublié le jour de notre mariage.

Antoine: Nous nous sommes mariés le 26 février.

Christine: Ah bon! Tu as retenu la date !

Antoine: Evidemment, c’était la Saint-Nestor !

Claude Jade vor 72 Jahren geboren

„Meine kleine Claude,
es ist mir unmöglich, deinen Geburtstag zu vergessen; jedes Jahr, wenn der Monat Oktober beginnt, macht sich eine kleine Erwärmung in der Region meines Herzens breit: Ah, Oktober, das ist doch der Birthday von Claude.“,
schreibt François Truffaut 1982, als Claude Jade in Zypern lebt.

François Truffaut und Claude Jade vor 50 Jahren

Marcel und Marcelle Jorré wollen am 8. Oktober 1948 Disneys „Bambi“ sehen, verzichten jedoch auf das Ende des Films und verlassen eilig das Kino. Um 23:15 schauen zwei große blaue Augen in die Welt. Jene Augen, über die François Truffaut, zu diesem Zeitpunkt 16jähriger Gründer eines eigenen Filmclubs, zwanzig Jahre später sagen wird: „Mit deinen großen blauen Augen könntest du ganz allein ’die zwei Waisen’ spielen.“ Und an ihrem 20. Geburtstag hat sie ihren ersten Drehtag mit Alfred Hitchcock. Ihre große Schwester Annie wird die minderjährige Schauspielerin als Anstandsdame nach Hollywood begleiten.

 

Am Tauftag mit ihrer großen Schwester Annie und der Großmutter

Marcel und Marcelle Jorré hatten sich für die dreizehn Monate ältere Annie ein Brüderchen gewünscht. Sie geben dem Mädchen den androgynen Namen Claude und in zärtlichem Zusatz den Klang des gemeinsamen Vornamens: Marcelle. Sie verlebt – anders als François Truffaut – eine glückliche Kindheit in einer großen Familie.
Die Wände des Hauses in der rue de la Toison-d’Or, in dem Claude ihre ersten Lebensjahre verbringt, sind reich verziert mit Gemälden und Zeichnungen ihres ein Jahr zuvor verstorbenen Großvaters Émile Schneider.

1953 inszeniert sich die Vierjährige selbst als arme Holzfällerin, die ihren unglücklichen Ehemann – gespielt von Annie – beschimpft. Die Rollen der Kinder übernehmen Claudes heißgeliebter Teddybär und einige Puppen, denen die kleine Spielleiterin inbrünstig ihre zarte Stimme leiht. Während Claude stolz ein altes Umschlagtuch und einen zu großen Rock trägt, ist Annie weniger glücklich mit ihrem von Motten zerfressenen Hut und der zerrissenen Weste. Aber das verlangt halt die Rolle! „Ich führte keine Regie, aber ich drängte meine große Schwester fortwährend, dies und das zu tun“, beschreibt Claude Jade 2001 in der Sendung „Ciné Club“ ihre ersten Theaterexperimente.

Behütet: Annie und Claude Jorré; Claude bei einem Kinderfest in Pouldu

Zur Erinnerung an die behütete Claude die Seite

GUT BEHÜTET

42 Jahre einer Karriere liegen zwischen der züchtigen Haube, die sie 1964 als Molières Agnès trug und dem Kardinalshut Alcestes, den sie als Molières Célimène in ihrem letzten Sommer am Ende von Jacques Rampals Molière-Fortsetzung „Célimène und der Kardinal“ aufsetzt. […]

Claude Jorré vor 60 Jahren, als sie noch nicht Claude Jade war

 

Dani 76

Claude Jade und Dani in „L’amour en fuite“

„Liliane hatte das Gesicht eines Vamps und ausgesprochen burschikose Manieren, sie war das absolute Gegenteil von Christine und zugleich all das, was Christine gern gewesen wäre“, beschreibt Antoine Doinel in Truffauts „Liebe auf der Flucht“ die Freundin seiner Frau Christine, Liliane, gespielt von Danièle Graule, die als Dani bekannt wurde.

Dani, Jean-Pierre Léaud und Claude Jade in „Liebe auf der Flucht“

In „Liebe auf der Flucht“ (L’amour en fuite) erscheint Dani als Liliane in Rückblenden, die so tun als stammten sie aus dem Doinel-Zyklus, einem nicht veröffentlichten Film zwischen „Domicile conjugal“ und „L’amour en fuite“. Sie scherzt mit Julien Dubois, der den Sohn von Christine und Antoine spielt, aus den gegenüberliegenden Fenstern, die aus „Domicile conjugal“ bekannt sind. Tatsächlich war Liliane eine Figur in „La nuit américaine“, die Scriptvolontärin, die eine Affaire mit Schauspieler Alphonse (Jean-Pierre Léaud) hat und dann mit einem Stuntman durchbrennt.

Liliane aus „La nuit américaine“ in „L’amour en fuite“. Jean-Pierre Léaud, Dani und Claude Jade.

Dani, François Truffaut und Claude Jade bei Dreharbeiten

François Truffaut mit seinen Hauptdarstellern Claude Jade, Dani, Jean-Pierre Léaud und Dorothée

Dani war längst keine Unbekannte, als François Truffaut ihr 1973 mit „Die amerikanische Nacht“ zum Durchbruch verhalf. 1963 kam sie aus Perpignan nach Paris, wo sie Kosmetikerin werden wollte. In der Pariser Clubszene knüpfte sie Kontakte zum Mannequin Zouzou, das ebenfalls mit eigentlichem Vornamen Danièle heißt, zum Schauspieler Marc Porel und zu dessen Halbbruder Jean-Marie Périer, einem erfolgreichen Mode-Fotografen. Sie verliebt sich in Périers Mitarbeiter Benjamin Auger, den sie später heiraten wird. Sie arbeitet als Fotomodell und posiert mit Zouzou in Fotoromanen. In den Nachtclubs lernt sie Jimi Hendrix und die Rolling Stones kennen und startete mit Hilfe Benjamin Augers als Sängerin mit „Garçon manqué“. Sie gilt schnell als Vamp der Nachtclub-Szene. Während Claude Jade 1969 in Interviews erklärt, sie würde sich in Nachtclubs langweilen, wird Dani genau dort Mitte der 60er Jahre zu einer „Königin der Nacht“.

Tanzschritte vom Vamp: Dani und Claude Jade in „L’amour en fuite“

Ihre Schauspielkarriere begann sie 1964 mit einem kurzen Auftritt in Roger Vadims „Der Reigen“. Im selben Jahr folgte in Eric Schlumbergers Sketch zum Episodenfilm „Schräger Charme und tolle Chancen“ (La chance et l’amour) neben Stefania Sandrelli und Jacques Perrin eine Nebenrolle als Sandrellis Freundin. Eine weitere Nebenrolle hat sie in „Das Mädchen von drüben“ nach einem Buch von Roman Polański und Gérard Brach. Jean-Marie Périer, der sie immer wieder für Magazine fotografierte, dreht 1971 den Film „Tumuc Humac“ und gibt ihr neben seinem Halbbruder Marc Porel und seinem Vater François Périer eine Hauptrolle. An Porels Seite dreht sie erneut in „Un officier de police sans importance“, in dem auch Robert Hossein und Charles Denner mit von der Partie sind. 1973 spielt sie neben Michel Galabru und Henri Guybet die Frau von Bruno Pradal  in Georges Lautners Komödie „Quelques messieurs trop tranquilles“ – zehn Jahre, bevor Claude Jade, die eng mit Pradal befreundet ist, dessen Frau in „Une petite fille dans les tournesols“ spielt.  1973 gibt François Truffaut Dani die Rolle von Nathalie Bayes Script-Assistentin in „La nuit américaine“.

Dani als Liliane in „La nuit américaine“ (1973) und in „L’amour en fuite“ (1979)

Truffauts Film bringt ihr Anerkennung, doch keine neue Filmrolle. Sie übernimmt auf Anraten von Alain Delon die Leitung eines Nachtclubs, „L’Aventure“. Zu ihren Gästen zählen neben arabischen Scheichs, Alain Delon und dessen Frau Nathalie auch Serge Gainsbourg, Patrick Dewaere und Chantal Goya.

Dani konzentriert sich neben dem Betreiben des Nachtclubs auf ihre Gesangskarriere. Für den Grand Prix d’Eurovison soll sie mit „La Vie à 25 ans“  auftreten, doch nach dem Tod von Georges Pompidou sagt Frankreich die Teilnahme ab.

Im Fernsehfilm „Zwischen Tod und Leben“ (Les anneaux de Bicêtre) nach Georges Simenons Roman „Die Glocken von Bicêtre“ kreuzen sich 1976 erstmals die Wege von Claude Jade als Krankenschwester Blanche, die den von Michel Bouquet gespielten Verleger ins Leben zurückholt und Dani, die als dessen alkoholkranke Frau Lina zu Besuch ins Krankenhaus kommt.

Cover Girls Claude Jade, Dani „Jours de France“ 1971, 1975, 1973

Claude Jade, Dani: Nous deux flash

Es folgt eine biedere Militärklamotte mit den Charlots als Fremdenlegionäre („Et vive la liberté!“), bevor Truffaut ihr mit „Liebe auf der Flucht“ 1978 erneut ein Geschenk macht: Liliane gehört so zur Antoine-Doinel-Chronik. In einer aus „Die amerikanische Nacht“ verwendeten Rückblende, einem Disput zwischen Liliane und Alphonse, wird ein Streit zwischen Liliane und Antoine, in den eine neu gedrehte Szene mit Claude Jade montiert wurde .

Im Original war es Truffaut als Ferrand, der die beiden anspricht, hier ist es Christine Doinel, die den beiden zuruft, sie sollen sich endlich versöhnen. Auch ein Dialog zwischen Liliane und Christine über Antoine, für den eine Frau gleichzeitig eine Krankenschwester, eine Geliebte, ein Schwesterchen und eine Amme sein muss und sie, Liliane, diese Aufgaben nicht erfüllen könne, entstammt einem Dialog aus der „amerikanischen Nacht“ und erinnert auch an die Szene aus „Domicile conjugal“, in der Antoine der im Taxi sitzenden Christine sagt, sie sei seine kleine Schwester, seine Tochter, seine Mutter und sie entgegnet „Ich wär auch gern deine Frau gewesen.“

Neu gedrehte Flashbacks zeigen die Freundschaft von Christine und Liliane, die gemeinsam illustrieren und tanzen oder sich über Antoine lustig machen. Christine, die Liliane Geigenunterricht gibt und sie „sehr schön“ findet, bewundert die neue Freundin, die Kinderbücher schreibt und illustriert. Christine berichtet Antoine stolz, dass ihr auch ihre Bilder gefallen würde, die sie mal für Alphonse gemalt hätte. So findet Christine neben der Arbeit als Geigenlehrerin eine weitere Aufgabe als Illustratorin.

Claude Jade und Dani in „L’amour en fuite“

Dani, Jean-Pierre Léaud, Claude Jade

 

Als Gruß an seinen Freund Éric Rohmer lässt Truffaut Liliane und Christine Kostümentwürfe für dessen „Perceval le Gallois“ malen, der etwa zeitgleich mit „L’amour en fuite“ ins Kino kommt -und bei dem ebenfalls Nestor Almendros hinter der Kamera steht. Liliane lebt sich ein, die beiden werden unzertrennlich und Antoine meint, sie wollten ihre Persönlichkeit tauschen: „jede wollte die andere werden“ Die beiden küssen sich, was Antoine irritiert und nun parodiert Claude Jade Antoine: wie Jean-Pierre Léaud gestikulierend, ahmt sie Antoine nach, der seit der Lektüre der Romane von Colette überall nur Lesben sieht und Christine warnt, sich vor Liliane in Acht zu nehmen: „Weißt du Christine, trotz allem; ich frage mich wirklich, ob Liliane nicht doch etwas mit dir vorhat. Dieses Mädchen mag alles, was vage ist, seltsam, bizarr, zweideutig, du verstehst, was ich meine. An deiner Stelle würde ich aufpassen.“

Dani, Jean-Pierre Léaud und Claude Jade

In den Sommerferien in Südfrankreich bittet Christine Antoine, er könne ruhig etwas netter zu Liliane sein. Die Szene, in der Christine zu früh vom Markt heimkommt und nun Liliane und Antoine im Bett erwischt, zeigt Truffaut erneut als Buchliebhaber: Antoine hatte Liliane ein Buch geschenkt und sie hatte es, um den Umschlag zu schützen, in Zeitungspapier gewickelt. Und das habe Antoine dann so gerührt, dass er mit ihr schlafen musste. Christine berichtet später Colette (Marie-France Pisier) davon, bei einer Begegnung der Ehemaligen von Antoine Doinel, zu denen nun auch Danis Liliane gehört.

Antoine mit Sabine (Dorothée), Colette (Marie-France Pisiser), Christine (Claude Jade) und Liliane (Dani): Jean-Pierre Léaud in „Liebe auf der Flucht“ (L’Amour en fuite“ von François Truffaut

Gruppenfoto bei Dreharbeiten zu „L’amour en fuite“

Auf „L’amour en fuite“ folgen keine weiteren Rollen. Ende der 70er Jahre, als das Model Zouzou bereits wegen Heroinkonsums abstürzt ist, verliert auch Dani ihren Nachtclub. 1981 wird sie wegen Besitzes und Handels mit Drogen verhaftet, die Magazine berichten von „Dani, Pracht, Drogen, Dekadenz“ und „Dani, vom Jet-Set ins Gefängnis“.

Gemeinsam vor die Kameras traten Claude Jade und Dani erneut in Cannes 1985 zu einem Familienfoto bei einer „Hommage à François Truffaut“ . Im Mai 1989 begegnen sich sich erneut für eine Dokumentation zu einer Truffaut-Ehrung in Cherbourg, „Truffaut et les femmes“, in der Claude Jade, Alexandra Stewart und Dani interviewt wurden. Zwei Jahre vor diesem Treffen der drei Truffaut-Schauspielerinnen hatte Dani ihre Memoiren unter dem Titel „Drogue la galère“ herausgebracht und hatte 1988, zehn Jahre nach „L’amour en fuite“, ein Kino-Comeback mit einer Nebenrolle in Claude Chabrols „Eine Frauensache“.

Alexandra Stewart, Claude Jade und Dani im Mai 1989 in Cherbourg

Alexandra Stewart, Claude Jade und Dani im Mai 1989 in Cherbourg

Dani dreht sporadisch, so 1992 als Gaststar in einer Folge von „Kommissar Moulin“, eröffnet einen Blumenladen – und hat 2001 ein Comeback als Gesangsstar: Dank Étienne Daho wird das 1975 von Serge Gainsbourg auch für Dani geschriebene Stück „Comme un boumerang“ ausgegraben, als Duett von Daho und Dani veröffentlicht und ein Hit. Es geht wieder aufwärts: Für ihre Concierge Claudie in „Ein perfekter Platz“ (Fauteuils d’orchestre) erhält sie eine César-Nominierung für die beste Nebenrolle, Auftritte in „Sag, dass du mich liebst“ (Parlez-moi de vous, 2012) und OIivier Marchals „Carbone“ (2017) folgen. 2018 war sie in der Serie „Aux animaux la guerre“ neben Roschdy Zem und Michel Subor als Zems Mutter zu sehen. Gerade hat sie mit Olivier Marchals  „Bronx“ abgedreht. Herzlichen Glückwunsch zum 76. Geburtstag, Dani.

 

Dani, François Truffaut und Claude Jade