Prêtres interdits (Der Abbé und die Liebe /Verbotene Gefühle)
Regie: Denys de La Patellière Buch: Jean-François Boyer, Denys de La Patellière Kamera: Henri Raichi Schnitt: Claude Durand Musik: Antonio Vivaldi Produzent: Georges de Beauregard Produktion: Bela, S.N.C. EA: 22.11.1973 DA: 18.07.1986 (DDR) Wdh. 30.03.1988, 16.12.1993 (BRD)
Darsteller: Robert Hossein (Jean Rastaud), Claude Jade (Françoise Bernardeau), Claude Piéplu (Grégoire Ancely), Pierre Mondy (Paul Lacoussade), Louis Seigner (Bischof), Germaine Delbat (Jeans Mutter), Lucienne Legrand (Françoises Mutter), Georges Audoubert (Françoises Vater), Michèle Watrin (Françoises Cousine), Guy di Rigo (Gendarm), Jacques Mignaud (Riberolle), Fabrice Mouchel (François), Yves Barsacq, Gil Baladou, Gilette Barbier, Claude Bauthéac, Jean Rupert, François-Régis Marchasson , Frédéric Quillet, Bernard Dumaine u.a.
Anfang der 70er Jahre will Claude Jade dem Image der reinen Heldin, das mit „Baisers volés“ erschaffen wurde, entfliehen. Ihre Eléonore in „Le bateau sur l’herbe“, ein Mädchen, das durch Zwietracht zwei Freunde entzweit, bricht das Bild auf. Doch François Truffaut schreibt ihr 1972: „Ich hoffe, dass ,Les feux de la chandeleur‘ erfolgreich sein wird, um endlich das Bild aus ,Le bateau sur l’herbe‘ zu löschen und dich wieder als sehr angenehm in die Köpfe der Leute zurückzurufen.“ In „Les feux de la chandeleur“ (Kerzenlicht) ambivalent und in „Home sweet Home“ (Trautes Heim) unsympathisch, erhofft sich Claude mit „Prêtres interdits“ (Der Abbé und die Liebe) erneut einen Bruch mit ihrer Christine Darbon.
Das reinste Gesicht des Französischen Films
“Pour que l’amour du prêtre interdit n’ait pas le visage du péché, il a pris le plus pur visage du cinéma français, celui de Claude Jade” (Combat, 1973)

Charles Trenet, Claude Jade: „Je sème la zizanie“
Als Claude Jade den Film am Tag der Premiere, am 22. November 1973, in der Fernsehsendung „Midi Trente“ vorstellt, ist Charles Trénet zu Gast. Claude bedankt sich bei ihm, da die seinem „Que reste-t-il ne nos amours“ entliehenen „Baisers volés“ ihr Glück gebracht hatten. Auf Trénets Frage, was sie in ihrem neuen Film spiele, entgegnet Claude lachend: „Ich bin schon wieder diejenige, die Zwietracht säht.“
Sicher, auch hier entzweit sie zwei Männer , zwei befreundete Priester, um ihren Anspruch auf Glück geltend zu machen – macht dem einen unnachgiebig den Hof und weist den anderen mit dessen hohlem Zölibatsgerede in seine Schranken; doch Claude Jade bleibt dabei die saubere Heldin und untermauert letztendlich das Bild, das Truffaut so liebt. „Um für die Liebe des suspendierten Priesters nicht das Gesicht der Sünde zu haben, wurde das reinste Gesicht des Französischen Kinos gewählt, nämlich das von Claude Jade“, schreibt der Kritiker von „Combat“.
Als Claude ihm im Sommer 1973 von ihrer Besetzung berichtet, schreibt François Truffaut am 9. Juli aus Los Angeles:
„Meine kleine Claude,
ja, du bist immer meine kleine Claude, aber wegen deines so liebevollen Briefes hatte ich letzte Nacht einen sehr schlechten Traum. An einer Bar traf ich Robert Hossein und auch Alex Joffé, der mir sagte: ‚Ich drehe einen Film mit Robert als Priester in der Résistance’. Ich sagte: ,Halt, ich dachte, La Patellière würde den Film drehen’.
– Ja, aber er ist abgewiesen worden und ich ersetze ihn.
– Aber mit der kleinen Claude Jade werden Sie doch drehen?
– Äh… nein, wir haben uns gestern entschlossen, auch sie umzubesetzen.
Du siehst, dieser Traum war unangenehm und er wäre Gold für einen Psychoanalytiker – ein Filmemacher, der umbesetzt wird! Also schreibe mir bitte einen langen Brief, mit dem du mich beruhigen wirst und mir deine Arbeit schilderst; das würde mir große Freude bereiten, denn ich denke ständig an dich.
Ich arbeite hart, sehr hart, 6 Stunden Englisch jeden Tag. Ich bedaure es sehr, dich nicht gesehen zu haben. Es war so ein Wirbel in Cannes… Ich werde sicherlich bis zum 10. August hier bleiben. Ich sah den großen Hitchcock, der einen neuen Film vorbereitet. Das Universal-Studio hat sich sehr verändert wegen der Touristen, die dort den ganzen Tag herumlaufen und sehr viel Geld ausgeben. Ich sah auch oft den alten und ermüdeten Renoir, tapfer genug jedoch, um seine Memoiren einer Sekretärin zu diktieren.
Ich umarme dich ganz heftig, meine kleine Claude, ich wünsche dir glückliche Dreharbeiten mit dieser so guten Persönlichkeit, die du da kreieren wirst; schreibe mir schnell,
françois“
Truffauts Alptraum erfüllt sich nicht: Claude Jade wird die Rolle spielen, zu Beginn ein Schulmädchen, das auf seine Gefühle beharrt und sich zu einer selbstbewussten jungen Frau entwickelt. Und auf dem Plakat prangt über den Gesichtern der Hauptdarsteller der Slogan: „Eine außergewöhnliche Liebe gegen alle Heucheleien“ Ein irreführender Leitsatz für einen tragisch endenden Film, der die Kirche, die mit den Faschisten paktierte, anklagt und seinen Helden, einem ungewöhnlichen Paar in schwerer Zeit, ein Denkmal ohne Trost und Hoffnung ist.
In „Prêtres interdits“, zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielend, schildert Autor Jean-Claude Barreau seine eigene Geschichte des suspendierten Priesters, der sich für die Ehe entschied, während Regisseur Denys de La Patellière an der Volksfront kämpfte. Beide vereinen sich in der Rolle des Abbé.

Germaine Delbat, Michèle Watrin, Robert Hossein und Claude Jade. Michèle Watrin war Hosseins damalige Geliebte. Sie starb kurz darauf bei einem Autounfall.

Françoise (Claude Jade) und ihre Cousine (Michèle Watrin). Jean Rastaud (Robert Hossein) hilft Françoise
Frankreich 1936: Die 18jährige Pariserin Françoise (Claude Jade) verbringt die Ferien auf dem Lande. Bei einer Radtour mit ihrer Cousine (Michèle Watrin) stürzt Françoise. Der herbeigeholte Abbé Jean Rastaud (Robert Hossein) verarztet sie wenig später. Françoise schämt sich, ihr Bein zu entblößen, doch ihre Blicke zwischen Scheu und Faszination nehmen vorweg, was unausweichlich ist: Françoise verliebt sich in den Katholiken, der mit den Kommunisten sympathisiert und sein Motorrad in seiner schwarzen Kutte repariert. Die Ölflecken auf der Soutane stören ihn nicht: „schwarz auf schwarz“. Rastaud, der den Reden Maurice Thorez’ im Radio zujubelt, während sich die katholische Kirche den Faschisten anbiedert, bringt Françoise auf dem Motorrad zu ihren Eltern.
Während der Fahrt schmiegt sich das Mädchen an den Priester und jubelt, dass sie von seinem Branntwein „vollkommen betrunken“ sei. Da Robert Hossein keine Motorradlizenz dabei hatte, klammert sich Claude in der Totalen an sein Double, einen Stuntman. Claude Jade kann man hier tatsächlich für eine Achtzehnjährige halten, die ihre erste Liebe entdeckt. Als Jean sie gegen die Vorwürfe ihrer Eltern verteidigt, ist ihr Blick bereits von sanfter Bewunderung. Françoise besucht ihn wiederholt in der Kirche, beobachtet ihn beim Handballspiel mit Schülern und macht dabei unbeholfen Photos. Jean unterbricht das Spiel: „Etwas unscharf, ihre Ferienerinnerungen“, meint er und erklärt ihr den Umgang mit der Kamera.
Sie liefert sich die erste Konfrontation mit Jeans Amtskollegen Ancely (Claude Piéplu). „Mademoiselle sind katholisch?“, fragt der Priester provokant und will ihr Bier in die Limonade geben. Noch reagiert Françoise eingeschüchtert. Ancely wird sie ein weiteres Mal ansprechen und Françoise fragen, ob sie eigentlich wisse, dass Jean Priester sei und ob sie das störe. Françoise, die sich, auf einem Fahrrad sitzend, am Fenster seines Autos festhielt, entgegnet kühl und bestimmt: „Danke, ich fahre allein weiter.“ Mit Claude Piéplu hat Claude Jade nur drei gemeinsame Szenen, doch in denen zeigt sie jenseits von Mädchencharme Trotz und Stolz. Bewundernd nennt sie Piéplu einen „Bildhauer der Worte“.
Claude Jade und Claude Piéplu in “Prêtres interdits” (Der Abbé und die Liebe) und im November 1973 in der Fernsehsendung “Midi Trente”
Schließlich gesteht Françoise dem Priester ihre Liebe – im Beichtstuhl. Jean weist sie ab, doch Françoise gibt nicht nach und besteht auf die Beständigkeit ihrer Gefühle. Ebensowenig geht Françoise auf Ancelys weiteres Beharren, Jean aufzugeben, ein. Was auf die Außenstehenden wie die Caprice eines jungen Mädchens erscheint, erweist sich als aufrichtige Liebe und Claude Jades Wandlung vom schwärmerischen Mädchen zur selbstbestimmt ihre Liebe verteidigenden Rebellin ist sauber komponiert. Zu Vivaldis „Frühling“ filmt Patellière das Paar kurz darauf auf dem Waldboden. Der Priester Jean entjungfert das Mädchen Françoise und die Kamera umkreist dabei das Paar in seinem Taumel eines schönen Traums von Freiheit.
Als Françoise ein Kind erwartet, verlangt der Bischof (Louis Seigner) Stillschweigen und schickt das Mädchen zu seinen Eltern (Lucienne Legrand und Georges Audoubert). Sie habe Jean mit ihrer eigensinnigen Verfehlung vom Wege abgebracht. Die erst jetzt verunsicherte Françoise möchte nun auf Jean verzichten, seine Laufbahn als Priester nicht gefährden. Doch Jean – vom kommunistischen Bürgermeister Lacoussade (Pierre Mondy) ermutigt – lässt sich suspendieren und tritt mit dem ebenfalls von der politischen Haltung der Kirche angewiderten Ancely der Résistance bei.
Jean trifft sich erneut mit Françoise, die das Kind bis zu ihrer Volljährigkeit in ein Waisenhaus geben und dann Jean heiraten will… „Du hast dich verändert, Françoise“ – „Ich weiß“, stimmt Claude Jade zu.
Die Jahre vergehen, Françoise lebt mit ihrem Kind bei Freunden. Als Jean und Françoise sich treffen wollen, kommt die junge Mutter durch einen Luftangriff ums Leben. Jean wird von der Gestapo verhaftet und erschossen. Auf der Exekutionstafel steht: „Jean Rastaud, Kommunist.“
„Ein Film, der Königin Margot zum Weinen brächte“, schreibt ein Kritiker. Beileibe nicht jeden überzeugt der Film. Die guten Absichten des Autors, der dem „Tagebuch eines Landpfarrers“ etwas von „Don Camillo“, nichts von „Rom, offene Stadt“ und sehr viel von „Love Story“ hinzufügt, seien zugleich die Pflastersteine zu einer Hölle der Flachheit, urteilt „Cinéma“. Und „Positif“ wirft den Drehbuchautoren vor, sich einem politisch-bigotten Ratatouille zu widmen. Das deutsche – katholische – Fachblatt Filmdienst nörgelt: „Ein boulevardmäßig vereinfachendes Melodram, das mit belehrendem Unterton daherkommt.“ Als Claude Jade den Film am Tag der Premiere gemeinsam mit Claude Piéplu in der Fernsehsendung „Midi Trente“ vorstellt, kommt Piéplu der Bitte, die hehre Moral dieses Films zu erläutern, amüsiert nach: „Dass Claude Jade vom Fahrrad fällt und Robert Hossein ihr Knie sieht. Die Moral der Geschichte ist: wäre Claude nicht mit dem Rad gestürzt, wären die Dinge sicher weniger kompliziert verlaufen.“
Einig sind sich die Kritiker hinsichtlich der Besetzung. So schreibt „Image et son“: „Man muss sich nicht auslassen über den Stil von La Patellière, der leider an die schlechtesten sowjetischen Produktionen von früher mit dem Missbrauch elektrischer Zooms, dem Wirbeln und den langweiligen Schüssen und Gegenschüssen erinnert. Denn die Leistung der Schauspieler ist hervorragend, die Nüchternheit, die Genauigkeit des Tons und die Einstellung der drei Protagonisten ist unleugbar exzellent.“
So superb ihr Spiel, gehört der Film von Denys de La Patellière einer vergangenen Epoche an – und ist zugleich sein letzter fürs Kino. 1973 entsteht „Themroc“, in dem die Schauspieler sich grunzend artikulieren; „Die Mama und die Hure“ und „Das große Fressen“ entfachen in Cannes Skandale. Es ist das Jahr, in dem die Anfängerinnen Miou-Miou und Isabelle Huppert von Claudes früherem Mitschüler Gérard Depardieu in „Les valseuses“ flachlegt werden. Sich selbst verortet sie Mitte der 70er Jahre bedauernd zwischen zwei Generationen von Schauspielern: „Selbst wenn ein Gérard Depardieu mein Alter hat, glaube ich, dass die Produzenten uns nicht in der gleichen Façon sehen.“
„Bourgeoise, moi?“, protestiert Claude Jade 1973 im Titel eines Berichtes in der Zeitschrift „ELLE“ . „Claude Jade, das ist die Sainte Jade mehr denn je. Aber ist das auch die wahre?“ fragt René Bernard hier bezüglich ihres letzten Films „Prêtres interdits“. Claude Jade kann darauf verweisen, dass Françoise die bourgeoise Tochter eines reichen Industriellen sei und sowohl ihre eigenen Eltern als auch ihre Schwester Lehrer seien. René Bernard beschreibt dabei ein Lächeln, in dessen Ecke eine gewisse maliziöse Bosheit zu bemerken ist. Eine Fotomontage Claude Jades in sechs verschiedenen Kostümen bleibt den Rollenwandel schuldig. Zustimmung erhält sie für ihre strenge Pflegerin in „Home sweet Home“ und Claude Jade erklärt, dass sie die Rollen exaltierter oder leichtsinniger Frauen spielen will, die undankbaren, die hässlichen… Kurzzeitig wird dieser Wunsch ein Jahr später für zwei Kinofilme erhört und verwirklicht.

Claude Jade und Robert Hossein auf dem belgischen Filmplakat und im Artikel in der FF Dabei zur deutschen Erstausstrahlung
„Prêtres interdits“ lief als „Der Abbé und die Liebe“ erstmals 19986 im deutschen Fernsehen und 1988 als Wiederholung in einer Robert-Hossein-Filmreihe.
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