Mon oncle Benjamin – Mein Onkel Benjamin

Claude Jade Mon oncle Benjamin

„Zu den großen Vorzügen des Films gehört die Bekanntschaft mit der schönen und hochbegabten Claude Jade“ (Renate Holland-Moritz)

Mon oncle Benjamin, Claude Jade. Jacques Brel, Edouard Molinaro, Mein Onkel BenjaminMON ONCLE BENJAMIN
(Mein Onkel Benjamin / Der Mann im roten Rock)
Frankreich/Italien 1969 Regie: Édouard Molinaro Buch: Édouard Molinaro, Jean-François Hauduroy, André Couteaux, nach Motiven des Romans von Claude Tillier Kamera: Alain Levent Musik: Jacques Brel, François Rauber Schnitt: Robert und Monique Isnardon Regie-Ass.: Philippe Monnier Produzenten: Roger Debelmas, Robert Sussfeld Prod.: Gaumont   EA: 28.11.1969 DA: 03.12.1971 (DDR), 02.02.1975 (BRD)
Darsteller:
Jacques Brel (Benjamin), Claude Jade (Manette), Bernard Alane (Hector de Pont-Cassé), Rosy Varte (Bettine), Paul Frankeur (Minxit), Lyne Chardonnet (Arabelle), Bernard Blier (Cambyse), Robert Dalban (Jean-Pierre, Manettes Vater), Alfred Adam (Sergeant), Armand Mestral (Machecourt, Benjamins Schwager), Paul Préboist (Parlenta), Jean-Pierre Lamy (Guillaume de Vallombreuse), Daniela Surina (Marquise), Carlo Alighieri (Intendant), Dominique de Keuchel (Gaspard), Christine Aurel, Jacques Provins, Gérard Boucaron, Paul Gay, Régine Motte, Véronique Véran, Luce Fabiole u.a.

Frankreich 18. Jahrhundert. Landarzt Benjamin behandelt die Armen kostenlos und macht der schönen Gastwirtstochter Manette den Hof, doch deren Vater will keinen armen Schlucker als Schwiegersohn. Manette wäre bereit, sich entführen zu lassen, allerdings nur mit einem Ehevertrag. Doch Benjamin liebt die Freiheit… und Claude Jade verweigert eine Nacktszene, da sie diese in Hinsicht auf ihre Rolle für unpassend hält.

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„Jacques Brel und – nicht zu vergessen! – Claude Jade haben mehr Sonne auf unsere Erde gebracht als alle Sonnenkönige zusammen.“ (Heinz Hofmann, Filmkritiker, 1971)

Claude Jade und Édouard Molinaro

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Claude Jade dans Mon oncle benjamin de Edouard Molinaro

Édouard Molinaro bietet Claude Jade die Rolle der aus dem Kloster heimgekehrten Arabelle an, einer gut erzogenen, reservierten jungen Frau. Claude  fühlt sich von diesem Profil nicht inspiriert, auch wenn Molinaro erklärt, die Rolle sei für sie geschrieben.
Im Roman gibt es die Gastwirtsfrau Manette, eine lebenslustige Person, mit der sich Schürzenjäger Benjamin vergnügt. Für diese Rolle käme eine neue Ausgabe Gina Lollobrigidas in Frage: sinnenfreudig und temperamentvoll. Claude fragt nach, ob diese Rolle mehr Raum bekommen könne und insistiert darauf, gegen ihren Typ besetzt zu werden. Molinaro organisiert ein Vorsprechen, bei dem Claude Jade als Manette überzeugt.

Lyne Chardonnet übernimmt die von Claude abgelehnte Rolle der Arabelle.

Lyne Chardonnet übernimmt die von Claude abgelehnte Rolle der Arabelle.

 

Jacques Brel, Claude JadeFrançois Truffaut erfährt von der Besetzung und schreibt am 6. Juni:
„Billancourt, Freitagnachmittag Anfang Juni.
Meine kleine Claude,
die ,Sirène’  wird beendet. Am 18. Juni kommt sie heraus. Ende dieses Monats gehe ich in die Auvergne, um ,L’enfant sauvage’ zu beginnen. Man könnte vorher zusammen zu Mittag essen; ich hoffe, dass alles gut läuft mit deinem derzeitigen Film. Ruf mich im Büro an, denn ich habe kein Telefon bei mir. Ich hoffe, dass du mit der Arbeit glücklich und nicht besorgt bist; ich mache gerade viele Vermerke für das Drehbuch von ,Baisers volés n°2’ und ich habe gesehen, dass du mit Jacques Brel drehen wirst, ich umarme dich sehr liebevoll,
françois.“

Claude Jade Jacques Brel Mon oncle Benjamin

claude jade mon oncle benjamin film de Edouard Molinaro„Ich erhielt eine Rolle, die mir eigentlich widersprach“, erklärt Claude Jade später in Interviews. Ihre Manette erscheint wie eine selbstbewusstere, bodenständigere Schwester der von Susannah York gespielten Sophie aus Tony Richardsons „Tom Jones“ (1963).

Schrieb Louis Chauvet nach „Geraubte Küsse“, sie besäße ein Auftreten, von dem Valery Larbaud sehr angetan gewesen sei, wohingegen Hitchcock sich vorstellte, was sie auf dem Rücksitz eines Taxis anstellen könne, bildet ihre Manette eine hinreißende Mischung aus beidem. Sie verkörpert eine Jungfrau, die sich ihrer Reize bewusst ist und es versteht, einen Casanova anzulocken und zu bändigen.

„Hitchcock erklärte, er bevorzuge Frauen, die nach außen reserviert wirken, aber innerlich sehr temperamentvoll sind. Er erklärte mir, Sex dürfe nicht ins Auge stechen. Ich versuche, in keine Kategorie zu gehören“, erklärt Claude Jade 1969 in einem von Unifrance veröffentlichten Interview: „Man behauptet oft, ich ähnele den Heldinnen, die ich auf der Leinwand verkörpere. Aber im Leben bin ich, auch wenn ich oft reserviert wirke, keine ‚Unschuld vom Lande’. Ich bin häufig etwas verrückt, lache und amüsiere mich gern, ohne mich gleich dem Nächstbesten an den Hals zu werfen.“ Und in „Mon oncle Benjamin“ fasziniert Claude Jade mit eben jener Ausstrahlung: Sie ist mal hingebungsvoll, mal störrisch und trotzig, sie flirtet auf Sparflamme und weist Benjamin zurück, sobald es für sie selbst ernst wird.

claude jade jacques brel mon oncle benjamin

claude jade jacques brel mon oncle benjamin filmDie  Zuneigung der Gastwirtstochter Manette gilt dem mittellosen Landarzt Benjamin, einem Schürzenjäger, der Manette allerdings nicht ins Bett bekommt. Die Schöne besteht auf einen Heiratsvertrag. Als Benjamin ihr vorschlägt, sie zu entführen, willigt sie nur unter der Option ein, dann auch von ihm geheiratet zu werden. Auf die Ablehnung beschimpft sie ihn und seine Freunde als Trunkenbolde. „Eine noble Bande von Epikureern. Sie haben Konsequenz in ihrer Philosophie“, verteidigt Benjamin den munteren Haufen. Manette: „Das meine ich ja: Trunkenbolde!“ Das hält Benjamin nicht davon ab, weiter um sie zu werben. Doch Manette, die schon mal auf ihn einprügelt, sich dann küssen lässt und ihm zuraunt, sie würde, wenn sie ewig in seinen Armen liegen könne, auf jede andere Ewigkeit verzichten, zieht die Schlinge enger.

gaspard dominique de keuchel mon oncle benjamin

Gaspard (Dominique de Keuchel), im Roman der Erzähler, hat sich als Neffe eingelebt.

Schließlich ist Manettes Auserwählter nicht nur geistreich, sondern auch ein Mann mit Herz; einer der die Armen kostenlos behandelt und den kleinen Gaspard (Dominique de Keuchel), den verwaisten Sohn eines Verstorbenen, eines Morgens zu seiner Schwester Bettine (Rosy Varte) mitbringt.
Bettines Widerstand und der Verweis darauf, dass sie und ihr Mann Machecourt (Armand Mestral) mit ihren vier Töchtern bereits genügend Mäuler zu stopfen hätten, wird gebrochen und für den Waisenjungen Gaspard wird Benjamin so der titelgebende „Mein Onkel Benjamin“.

Claude Jade, Jacques Brel, film, Mon oncle BenjaminjademanetteclaudemanetteManettes anfängliche Eifersucht auf dieArzttochter Arabelle  (Lyne Chardonnet) ist bald reine Koketterie. Manette verbündet sich mit Arabelles Verehrer Hector (Bernard Alane) gegen ihren Vater (Robert Dalban). Hector behauptet bei einem Besuch im Wirtshaus, er habe Benjamin bei einem Duell getötet und sperrt den Geizhals in ein Holzfass, in dem er für die Seele des armen Benjamin beten solle. „Manette darf heiraten, wen sie will“, verspricht der Alte aus dem Fass und versichert eine hohe Mitgift. Jetzt könnten Benjamin und Manette heiraten, doch die Liebenden werden erneut entzweit.

Bernard Alane, Claude Jade, Jacques Brel, Jean-Louis Tristan, Mon oncle Benjamin

Hector (Bernard Alane) will Benjamins Verhaftung verhindern – vergebens.

Manette entflieht dem väterlichen Gefängnis, um ein Duell zu verhindern.

Manette entflieht dem väterlichen Gefängnis, um ein Duell zu verhindern.

Das letzte Gastmahl des Dr. Mixit: Lyne Chardonnet, Armand Mestral, Rosy Varte, Paul Préboist, Alfred Adam, Gérard Boucaron, Claude Jade und Jacques Provins

Das letzte Gastmahl des Dr. Minxit. Von links: Lyne Chardonnet, Armand Mestral, Rosy Varte, Paul Préboist, Alfred Adam, Gérard Boucaron, Claude Jade und Paul Gay

Benjamin hat sich beim Marquis de Cambyse  für eine Demütigung delikat revanchiert und wird zu lebenslanger Galeerenstrafe verurteilt. Hector kann diese mit Intervention bei Hofe in eine Verbannung umwandeln. Vor dem Abschied ins Exil darf Benjamin seinen sterbenden Freund, den Arzt Minxit besuchen. Der hat zu einem letzten Festmahl geladen, bevor am nächsten Morgen seine Freunde gelbe Rosen in ein Glas Champagner tauchen und die Blütenblätter auf sein Grab streuen.

mort minxit

Dann verlässt Benjamin Corvol; Manette bleibt an Minxits Grab zurück. Doch als Benjamin die Landesgrenze erreicht hat und der Film zu Ende scheint, eilt Manette ihm nach. Sie hat sich besonnen und begleitet ihn in eine ungewisse Zukunft – auch ohne Trauschein. Und ein Kind haben sie nun auch, denn der kleine Gaspard geht mit ihnen.

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Dominique de Keuchel, Jacques Brel und Claude Jade im Wald von Rambouillet

Dominique de Keuchel, Jacques Brel und Claude Jade im Wald von Rambouillet

Da der kleine Gaspard ein ausgezeichneter Krebsfänger ist und die drei Frischverbannten an einem Flüsschen vorbeikommen, darf der Junge die Helden allein lassen und Manette wird Benjamin nun das schenken, was ihr Vater „ihr kleines Kapital“ nannte.
Nun, in der Schlusseinstellung, werden die Rollen umgekehrt, denn es ist Manette, die sich einen Kuss raubt, ihren Geliebten bei der Hand nimmt und in Ermangelung eines Betts einen Schober auf freiem Feld wählt.
Wenn Jacques Brel und Claude Jade zu François de Roubaix’ flottem Score auf einen hohen Heuhaufen zulaufen und dahinter verschwinden, erscheint die Einblendung Fin. Uns bleibt bei der Freude das kleine Bedauern, das Paar nicht weiter begleiten zu können.

fin du film

Édoaurd Molinaro Claude Jade Mon oncle benjamin

Édouard Molinaro und Claude Jade bei Dreharbeiten

Claude Jade Jacques Brel

Claude Jade und Jacques Brel

Der Film wird in der Bourgogne, Claude Jades Heimat, gedreht. Da die Dreharbeiten den ganzen Sommer andauern, reist Claude mit einem großen Koffer und Taschen nach Vézelay, wo Molinaro und ein Großteil der Besetzung im Hôtel de la Poste et du Lion d’or wohnt; hier sind auch Brel, Bernard Alane, Rosy Varte, Bernard Blier, der Kameramann Alain Levent und der Regieassistent Philippe Monnier untergebracht. Von ihrem ruhigen Zimmer aus hat sie einen Blick auf die Felder und Täler unter dem Hügel von Vézelay. Mit der Ankuft des Drehteams beginnt im kleinen Vézelay eine Zeit der Unruhe, denn die Parkplätze sind nun überfüllt von Autos und Lastern aus der Hauptstadt. Es gibt kein Studio – alles wird an Originalschauplätzen gedreht, neben Vézelay auch in Clamecy und bei Corbigny. Die letzte Szene entsteht im Wald von Rambouillet im Chevreuse-Tal.
Die Arbeit erscheint wie Ferien, doch Jacques Brel schüchtert sie ein wenig ein. Ihre Ehrfurcht vor dem berühmten Künstler, mit dem sie intime Szenen haben wird, ist privat zu groß; auch wenn er sich sehr einfach gibt. „Er ist warm, freundlich, offen und aufmerksam gegenüber anderen und die fröhliche und warmherzige Atmosphäre der Dreharbeiten ist viel ihm zu verdanken.“ Sie unterhalten sich über ihre Freude am Reisen, darüber dass Brel gern in den Süden fliegen will. Selbst am letzten gemeinsamen Tag – Brels Chauffeur hat die beiden zum Flugplatz gebracht, wo sie gemeinsam frühstücken, schwärmt Brel vom Fliegen und zeigt sich auf dem Feld begeistert von den Propellern der Maschinen.  Wenn Claude Jade von Brel ein wenig eingeschüchtert ist, so ist im turbulenten Spiel der beiden im Film davon nichts zu spüren. Sie liefern sich einen energievollen Schlagabtausch, in dessen Rasanz sie schöne Momente der Zärtlichkeit  einstreuen, um sich sogleich wieder zu kabbeln.

Jacques Brel, Claude Jade, Mon oncle Benjamin

                                                                              VERWEIGERUNG UNMOTIVIERTER NACKTHEIT

Claude Jade Manette film Mon oncle Benjamin Molinaro BrelNach den Schminkprozeduren in Hollywood genießt sie die Arbeit ihres neuen Maskenbildners Pierre Berroyer, der ihren Teint klar lässt und das lange Haar zu einem Chignon mit heraushängenden Strähnen hochsteckt. Auch ihre Kostüme sind schlicht. In einer Szene trägt Claude Jade eine weiße, fast transparente Bluse. Claude Jade: „Es gab auch eine Einstellung, die ein Problem darstellte, was Doudouzu Recht ärgerte. Ich rannte mit meinem großen Rock durch den Weizen und Manette nahm sich nicht die Zeit, ihr Korselett über ihr Hemd zu ziehen. Sie trifft den Vicomte de Pontcassé, der nach ihrem Duell mit Benjamin ihr Freund geworden ist, und er beruhigt sie über das Schicksal ihres Gegners. Er sieht durch den leichten Stoff die Brustwarzen des Mädchens.

Da er den Anblick er sie sehr reizvoll findet, erzählt er es seinem Begleiter Valombreuse. Also musste eine Nahaufnahme der Brüste, die Pontcassé unter dem Hemd sah, gedreht werden. Alain Levent beleuchtete den Stoff, um einen Blick auf meine Brüste zu erhaschen. Es kam mir vor, als würde es Stunden dauern, weil das Hemd zu dick war oder meine Brüste nicht sichtbar genug waren. Ich hatte nichts zu spielen, ich musste nur stillhalten, während man sich um meinen Oberkörper kümmerte, und ich hatte das Gefühl, nur noch ein Ding zu sein. Ich brach zusammen, ich hatte genug, ich wollte nicht mehr, dass nur meine Brust gefilmt wurde. Doudou gab nach und machte die Aufnahme mit einer anderen Schauspielerin, die das überhaupt nicht störte…“.

 

CLaude Jade dans Mon oncle Benjamin

manette bain claude jade fenetreIn der Szene, in der Manette  beim Bad vom durchs Fenster einsteigenden Benjamin überrascht wird, hält sich Claude Jade ein Handtuch vor die Brüste. Als Benjamin sie in den Arm nimmt und Manette ihn brüsk zurückweist, soll das Tuch zu Boden gleiten. Claude Jade geniert sich. Der technische Stab am Drehort wird reduziert, doch Claude Jade setzt durch, dass das Tuch von einer versteckten Sicherheitsnadel zusammengehalten wird. Während im Film einige  Nebendarstellerinnen barbusig sind, hält Claude Jade ein Entblößen Manettes für unpassend. Molinaro erklärt in einem Interview 2013, dass Claude Jade ihm zu schamhaft gewesen sei. Doch in Bezug auf die Rolle habe sie wohl Recht gehabt, denn diese Haltung stimme mit der Figur der Manette überein.

Claude Jade Manette Mon oncle BenjaminClaude Jade, die sicher um die Nacktszenen ihrer Manette herumkam, wird 1970 ein weiteres Angebot Molinaros ablehnen. Er bietet ihr die weibliche Hauptrolle neben Philippe Noiret und Marc Porel in „Les aveux les plus doux“ an. Doch da die Rolle der Christine Nacktszenen erfordert, um die sich nicht drücken kann, lehnt Claude Jade höflich ab. Die Rolle geht an Caroline Cellier, die damit nach Chabrols „Das Biest muss sterben“ ihre Karriere festigt.
Molinaro wird ihr im Januar 1971 aus Algier schreiben, dass sie in „Domicile conjugal“ perfekt sei und dass sie in Bezug auf „Les Aveux“ Recht gehabt hätte: „Das wäre nichts für dich gewesen.“

Zu Nacktszenen äußert sie sich in einem Interview mit der „Ciné Revue“. Hier erklärt die Schauspielerin, die das Pariser Nachtleben nur für ein Souper oder Kino- und Theaterbesuche nutzt, da sie sich in Nachtclubs „zu Tode langweilt“, dass solche Szenen sie genieren würden.

Claude Jade Mon oncle Benjamin film Edouard Molinaro avec Jacques BrelAuf die Frage Jacques Baroches, ob sie denn als Star eines Films, der sie in ihrer Karriere voranbrächte, Nacktszenen spielen würde, sagt sie: „Ich würde sie zur Zeit ablehnen. Es ist mir bereits passiert, dass ich interessante Rollen ablehnte, weil es da Szenen dieser gewissen Art gab. Ich denke, dass es Mädchen gibt, die das nicht geniert. Dann nimmt man halt sie.“

Baroche: „Glauben Sie nicht, dass es der Schauspielerberuf einem Mädchen erlaubt, sich nach und nach von diesem Anstandskomplex zu befreien?“

Claude Jade: „Das ist schon möglich. Somit gibt es etwa intime Szenen, bei denen ich unfähig gewesen wäre, sie in meinen Anfängen zu machen, und die ich jetzt drehen kann. Aber ich glaube nicht, dass es weit darüber hinausgehen wird. Dann wäre es notwendig, dass ich meine Mentalität ändere.“

Baroche: „Da man sowohl in den Filmen als auch in den Zeitschriften die größten Stars so gut wie unverhüllt oder nackt sieht, kann man denken, dass der Anstand ein Gefühl ist, das ihnen fremd geworden ist.“

Claude Jade: „Aber es ist doch sehr gut, wenn sie das nicht behindert. Für mich weiß ich, dass ich damit unglücklich wäre. Und wenn ich mit einer Rolle unglücklich bin, ist es offensichtlich, dass ich in ihr auch schlecht wäre.“

Jacques Brel et Claude Jade dans Mon oncle BenjaminBaroche: „Sind sie auch moralisch so schamhaft? Können Sie über ihre Liebesabenteuer reden?“

Claude Jade: „Ich mag es nicht so sehr, wenn man über mein Privatleben spricht. Schauspieler sollten wie andere auch ein Recht auf ihren geheimen Garten haben. In gewissem Maße denke ich, dass man alles unternehmen kann, um zu versuchen, seine Intimität zu bewahren.“

So wie sie erfolgreich Nacktszenen ablehnt, bleibt auch die Liebesgeschichte mit François Truffaut bis zu deren Enthüllung in einer 1996 erscheinenden Truffaut-Biographie ihr „geheimer Garten“

Jacques Brel Claude Jade baiser volé mon oncle benjamin

                                                                                                              EINE ODE AN DAS LEBEN

Jacques Brel, Claude Jade, Édouard Molinaro, Lyne Chardonnet, Mon oncle Benjamin

Jacques Brel, Claude Jade, Édouard Molinaro, Lyne Chardonnet

Claude Jade bezeichnet Édouard Molinaro zur Zeit der Arbeit an „Mon oncle Benjamin“ als „unvergleichlichen Techniker“. Sie dreht rasante Einstellungen, spielt in raschem Tempo und entfernt sich in Windeseile von der etwas braven Christine aus den „Geraubten Küssen“. Der lebensfrohe Charme des Films, entsteht auch aus der Freude des Teams. Die vielen Zooms und Gegenzooms sind formal vielleicht keine Merkmale eines Meisterwerks, doch die Lebensfreude, die „Mon oncle Benjamin“ vermittelt, ist von unverwüstlicher Frische. Der Film ist eine Ode an das Leben, gerade auch im Bewusstsein, dass das Leben zu kurz ist. Er verspottet zudem den Adel als Absurdität, denn was soll das für eine Größe sein, die angeblich von Generation zu Generation weitergegeben wird?

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Claude Jade Mon oncle benjamin

„Wenn es der Himmel erlaubte, dir ewig so nah zu sein; ich würde auf jede andere Ewigkeit verzichten“

Wenn Jacques Brel in Drehpausen in seinem Sportflugzeug über die Bourgogne kreist, bedauert Claude Jade, dass ihr Vertrag ihr das Fliegen verbietet.
Als das Team ein fröhliches Trinkgelage im Wirtshaus dreht, trifft eine schreckliche Nachricht ein: Molinaros Frau Pierrette, eine Fluglehrerin, ist zusammen mit einem Schüler bei einem Absturz ums Leben gekommen. Das Team ist verstört, Molinaro wird den Film seiner Frau widmen: „à Pierrette“. Philippe Monnier, der erste Assistent, übernimmt für einige Tage die Regie. Auch im Gedenken an Pierrette entsteht ein zutiefst optimistischer Film, in dem auch dem Tod – im Festmahl des Docteur Minxit – mit Warmherzigkeit begegnet wird.

Während des Drehs zu einem Gelage in der Herberge trift eine Todesnachricht ein. Szenen aus

Das Gelage in der Herberge und das Bankett für Herrn Minxit. Szenen aus „Mon oncle Benjamin“, gewidmet Pierrette Molinaro.

Paul Préboist avec Claude Jade et Jacques Brel dans

Paul Préboist spielte vor der Rolle des Parlenta bereits in Molinaros Filmen „Oscar“ und „Hibernatus“

An den Abenden nach Drehschluss sind Team und Schauspieler häufig zusammen. Sie sehen am 16. Juli 1969 gemeinsam vor einem Fernseher im Salon des Hotels die erste Mondlandung oder spielen nachts in den steilen Straßen des Dorfs Fußball.
Paul Préboist, ein Mann von eher bescheidener Statur und in seiner Jugend Jockey, hatte als Torwart kaum Chancen, die Bälle zu halten, amüsierte sich dabei wie alle anderen – ausgelassen wie spielende Kinder. Der aus Marseille stammende Préboist hat am Set auch seinen Bruder Jacky und seine Mutter zu Gast. Claude Jade erinnert sich in ihren Memoiren: „Es war für mich amüsant zu hören, wie er mit ihr sprach, auf englisch mit Marseiller Akzent.“ Ein Jahr später dreht sie erneut mit Préboist – in Gérard Brachs „Le bateau sur l’herbe“.

Claude Jade, Alfred Adam, Mon oncle BenjaminIhre weiteren Partner sind beeindruckende Veteranen:
Alfred Adam (1909-1982), spielt den trinkfesten Sergeanten. Das Mitglied der Comédie française, debütierte 1935 im Film als Schlachter in Jacques Feyders „La Kermesse heroique“ (Die klugen Frauen) neben Françoise Rosay.  Berühmt wurde er mit Christian-Jacques „Boule de suif“, in dem er als nonkonformistischer Maler neben Micheline Presle agierte. Weitere Erfolge waren sein Murat in Pathés „Les beaux jours du roi Murat“ wurde er bekannt und sein Thomas Putnam in Raymond Rouleaus „Les sorcières de Salem“.
Robert Dalban Claude JadeRobert Dalban (1903-1987) hat als Manettes Vater eine seiner bekanntesten Rollen. Der alte Geizhals, der die Blüte seiner Tochter als kleines Kapital bezeichnet, war auf Gangsterrollen abonniert. Er wurde 1947 als Schrotthändler und Mörder Paulo in Clouzots „Quai des Orfèvres“ bekannt und trat in kleineren Parts in mehr als zweihundert Filmen auf, unter anderem als ehemaliger Résistance-Kamerad von Danielle Darrieux in „Marie-Octobre“ und als Chef von Jean Marais und Mylène Demongeot in André Hunebelles „Fantomas“-Komödien. Sein schönster Erfolg war 1963 sein ehemaliger Einbrecher, der zum Butler wird, in Georges Lautners „Les tontons flingeurs“ (Mein Onkel, der Gangster)
.
Paul Frankeur, Claude JadePaul Frankeur (1905-1974) spielt den Doktor Minxit, der am Ende des Films um seinen Tod wissend ein opulentes Festmahl für seine Freunde gibt. Seit den 20er Jahren Kabarettist, gibt Frankeur 1941 bei Louis Daquin sein Filmdebut und spielt neben acht Filmen von Gilles Grangier auch wiederholt bei Denys de La Patellière und André Cayatte. Seine bekannteste Rolle ist der Kunsthändler Michel Kelber in Gilles Grangiers „Reproduction interdite“ (1957). Seit der Hauptrolle als Pilgerer Pierre in Luis Buñuels „La voie lactée“ (1969) spielte Frankeur auch wichtige Rollen in weiteren Filmen des Spaniers („Le charme discret de la bourgeoisie“, „Le fantôme de la liberté“).

Bernard Alane Claude Jade Mon oncle BenjaminBernard Alane war der Anspielpartner beim von Claude Jade insistierten Vorsprechen für die Rolle der Manette.
Alane (*1948) spielte bereits vor dem Hector de Pont-Cassé bei Édouard Molinaro den nach sechszig Jahren aufgetauten „Winterschläfer“ Paul Fournier in der Komödie „Hibernatus“. Große Popularität errang das Mitglied der Comédie-Française 1975 mit der Hauptrolle des Vincent im TV-Sechsteiler „Die Eingeweihten von Eleusis“ (Les Compagnos d’Eleusis). 1978 spielten Bernard Alane und Claude Jade erneut in historischen Kostümen. In der Reihe „Les amours sous la révolution“ sind sie das Revolutionspaar Camille und Lucile Desmoulins.

Lyne Chardonnet (1943 – 1980) übernahm die Rolle der Arabelle, die Claude Jade abgelehnt hatte. Sie wurde am Conservatoire national supérieur d’art dramatique ausgebildet und startete 1966 ihre Fernsehkarriere. 1968 hatte sie eine kleine Rolle als Catherine Deneuves Schwester in „Mayerling“, spielte dann Louis de Funès‘ Tochter in „Der Tätowierte“ und neben Roger Hanin in „Bruno, das Sonntagskind“. Die Arabelle wurde die wichtigste Rolle ihrer Kinokarriere. Bei Molinaro hatte sie kleine Auftritte als Krankenschwester in „Die Herren Dracula“ und als Stewardess in „Der Antiquitätenjäger“. Im Fernsehen folgten größere Rollen, so in der Serie „Die Leute von Magador“ (1972 ) und in „Le  Roi Muguet“ (1979) von Claude Jades Cousin Guy Jorré. Sie starb 37jährig an Leberkrebs.

Jean-Pierre Lamy (1945-1970) hatte ebenfalls am Conservatoire national supérieur d’art dramatique studiert. Jean Meyer holte ihn 1966 nach Lyon ans Théâtre des Célestins, wo er in Meyers Inszenierung von Molières „Schule der Frauen“ spielte. Im Fernsehen folgten drei Inszenierungen für „Au théâtre ce soir“ und einige Fernsehfilme. Der Guillaume de Vallombreuse war sein Filmdebüt. Nach einem ersten Selbstmordversuch aus Liebeskummer drehte er das Gas in seiner Wohnung auf und starb 24jährig am 28. April 1970.

Claude Jade, Bernard Alane und Jean-Pierre Lamy in „Mein Onkel Benjamin“

 

rosy varte armand mestral claude jade mon oncle benjamin

„Benjamin!“ Sie lieben den Mann im roten Rock: Rosy Varte als Benjamins Schwester, Armand Mestral als sein Schwager und Claude Jade als seine Braut

claude jade jacques brelDa die Dreharbeiten eifrig von der Presse verfolgt werden, begegnet sie bei dieser Gelegenheit dem jungen Journalisten Michel Huvet, einem alten Bekannten: Er war 1964 ihr Horace in der „Schule der Frauen“ und schreibt für „Le Bien Public“ über die Arbeit zu „Mon oncle Benjamin“. Und Bernard Laissus, der 1994 zur Aufführung der „Schule der Frauen“ geschrieben hatte, „Claude Jorré – eine Entdeckung!“, berichtet nun für „Les Dépêches“ über den neuen Film mit Jacques Brel und Claude Jade. In Dijon heißt ihre Mutter immer noch Madame Jorré, aber inzwischen auch „la maman de Claude Jade“.

fenetre_manette_aubergeClaudes Freund Jean-Claude Dauphin (sie auch „Der Zeuge“) taucht am Drehort auf, um Molinaro zu treffen, in dessen nächstem Film „La Mandarine“ er spielen wird. Er braust mit Claude in drehfreier Zeit in seinem Aston mini zurück nach Paris. Unterwegs überraschen sie Claudes Verwandte, das Trio Schneider, in Châteauneuf. Da Tante Guitou nicht da ist, richten Didi und Tata Schneider nach einem improvisierten Dîner den beiden ein schönes großes Zimmer her, das von Guitou in Anlehnung an die griechische Antike als „Megaron“ benannt wurde. Es folgt ein gekränkter Brief von Tante Guitou: Sie hätte sich vorher anmelden sollen und es sei nicht schicklich, mit dem Freund in einem Zimmer zu übernachten. Claude habe den „Megaron“ als „Bordell“ entweiht. Als sie Jahre später Claudes Nichten nebst Freunden in Châteauneuf unterbringt, wird Guitou über ihre einstige Empörung lachen, denn „die Zeiten haben sich geändert“.

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Pressefotos zu „Mon oncle Benjamin“

In Paris erhält sie Post von François Truffaut:
„Aubiat, 11. August 1969. Meine kleine Claude, ich habe nicht genug Neuigkeiten von dir; glücklicherweise kann ich dank der Presseberichte zu deinem Onkel Benjamin entsprechend schätzen, dass es dir gut geht. Bis zum 20. August kannst du mir an diese Adresse schreiben: Le petit Montcalvel AUBIAT. Der Dreh zu ,L’enfant sauvage’ läuft gut und wie du vielleicht weißt, gebe ich hier mein Schauspieldebüt. Der kleine Zigeunerjunge, den ich gewählt habe, ist sehr gut, die Stimmung ist trotz der Ernsthaftigkeit des Themas fröhlich; ich hoffe, dich im September zu sehen, ich umarme dich ganz liebevoll, françois“

claude jade

„Claude Jade est la seule jeune fille, dans la version stimulante, qu’ait produit le cinéma depuis Romy Schneider…“ (Henri Rode)

Kritik Filmkritik deutsche Filmkritiken von Renate Holland-Moritz (oben) und Heinz Hofmann; Eulenspiegel, Mein Onkel Benjamin, Claude Jade, Jacques Bre

deutsche Filmkritiken von Renate Holland-Moritz („Eulenspiegel“, oben) und Heinz Hofmann

„Mon oncle Benjamin“, der im Dezember Premiere feiert, wird einer der größten Erfolge des französischen Kinos. Die Kritiker schwärmen von Anmut und Grazie der bezaubernden Claude Jade und ihrer Wandlungsfähigkeit. Als der Film in den deutschen Kinos, in der DDR, startet, wirbt der Verleih mit einer Kritik Heinz Hofmanns: „Jacques Brel als Benjamin und – nicht zu vergessen! – Claude Jade als Manette haben mehr Sonne auf unsere Erde gebracht als alle längst verblichenen Sonnenkönige zusammen.“
Renate Holland-Moritz, bekannteste und gefürchtetste Filmkritikerin der DDR und für ihr Urteil über schauspielerische Wirkung bekannt („Als Schauspielerin ist die Ekberg etwa so begabt wie ein Eisbein mit Sauerkraut„), schärmt: „Zu den großen Vorzügen des Films gehört die Bekanntschaft mit der schönen und hochbegabten Claude Jade, einer Schauspielerin, die auch François Truffaut genügend faszinierte […] .“
Und François Truffaut wird ihr am 6. Januar 1970 zu ihrer Manette gratulieren: „ich sah gestern deinen Onkel Benjamin und war sehr verliebt in seine Nichte. Du hast hundertmal Grund gehabt, gerade diese Rolle zu verlangen vor allem hinsichtlich der anderen. Ich habe dein Lächeln und deine Verspieltheiten angebetet, die nicht fabriziert sind, denn sie klingen wahrhaftig.“

Dominique de Keuchel, Jacques Brel, Claude Jade und Bernard Alane

Dominique de Keuchel, Jacques Brel, Claude Jade und Bernard Alane

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