Le Pion – Ein Pauker zum Verlieben

Le Pion  (Ein Pauker zum Verlieben)
F 1978 Regie: Christian Gion  Buch: Christian Gion  Kamera: Lionel Legros  Musik: Jean-Michel Caradec, Jean Musy, Ludwig van Beethoven Schnitt: Bernard Bonis  Regieassistenz: Stephane Loison, Remy Thomas Skript: Helena Roulet Ton: Harrick Maury Kostüme: Annick François Kostüme Claude Jade: Renata Maske: Jean-Pierre Berroyer Produktionsleitung : Roger Fleytoux Produzenten: Sylvio Tabet, Jacques Bar  Produktion: Films 21, Cité Films (Paris), Ecta Film GmbH (München)  EA : 25.10.1978  DA: 21.03.1980
Darsteller: Henri Guybet (Bertrand Barabi), Claude Jade (Dominique Benech), Claude Piéplu (Zensor), Maureen Kerwin (Mlle Thuillier) Michel Galabru (Schulinspektor), Claude Dauphin (Albert Carreaud), Mathieu Vermersch (Michel Benech), Stéphane Lievain (Robert Laugier), Bernard Musson (Boussignac), Denise Glaser (sie selbst), Roland Giraud (der Minister), Jean-Pierre Laruche, François Guetary, Roger Perinoz, Raymond Colom, Dominique Vallée, Christophe Guybet, Martine Laruche, Frederic Cohen, Nicolas Cohen, Delphine Berroyer, Nicolas Fleytoux, Jean-Pierre Legitimus, Jean-Claude Millot, Christophe Wilhelm,  Bruno Auat, Thiery Althunyan, François Giraud u.a.

Aushilfslehrer Bertrand Barabi wird von seinen Kollegen belächelt. Die verwitwete Dominique Benech, Mutter seines Schülers Michel und seit kurzem Bertrands Nachbarin, bittet ihn um Nachhilfe für ihren Sohn. Sie ermutigt Bertrand, seinen Roman zu veröffentlichen. Doch Bertrand hat nur Augen für die arrogante Lehrerin Mademoiselle Thuillier…

Christian Gion und Claude Jade bei Dreharbeiten zu „Le Pion“ (1978)

Christian Gions „Le Pion“ (Ein Pauker zum Verlieben) ist eine moralische und optimistische Fabel. Gion hat ein Faible für die von der Gesellschaft belächelten Verlierer wie den aus einer Agentur entlassenen Werber (Francis Perrin) in „Man hat’s nicht leicht auf dieser Welt“ (1975), der sich mit unerwartetem Erfolg durchsetzt.
Das märchenhafte Motiv in „Le Pion“ zeigt den Aushilfslehrer Bertrand, dessen zu weiche Unterrichtsmethoden auch fast zu seiner Entlassung führen. Und in dieser Aschenputtel-Variante um einen verspotteten Träumer, der am Ende als Schriftsteller eine Berühmtheit wird, gibt es auch die Liebe auf den zweiten Blick. Was bei dieser simplen Geschichte, ihrem Optimismus und ihrer Naivität natürlich von Anfang an klar ist: nur die liebevolle der beiden gegensätzlichen Frauen passt zum Helden.

An der Schule „Jean Vigo“ – eine Referenz an Vigos Film „Zéro de conduite“ – ist Bertrand Barabi (Henri Guybet) Aushilfslehrer. Er schwärmt für seine arrogante Kollegin Mademoiselle Thuillier (Maureen Kerwin), die ihn ignoriert oder belächelt. Nur eine Szene später trifft er beim Einzug in seine neue Wohnung auf Dominique Benech (Claude Jade).

Die junge Witwe ist die Mutter seines Schülers Michel.
Dominique ist ebenso schüchtern wie Bertrand und genau so freundlich. Michel (Mathieu Vermersch) ist zwar aufgeweckt, aber schulisch durchaus förderungsfähig. Dominique bittet den Lehrer ihres Sohnes und neuen Nachbarn um Nachhilfe.

Bertrand (Henri Guybet) wird der neue Nachbar von Dominique (Claude Jade) und Michel Benech (Matthieu Vermersch)

Während Bertrand nachmittags an seinem  Roman   schreibt, gibt Dominique in der Wohnung nebenan Klavierunterricht. Nach behutsamer Annäherung auf der Straße und im Treppenhaus lädt Dominique Bertrand zum Essen ein, doch bereits bei diesem ersten Rendezvous schwärmt er von der Thuillier.

Claude Jade zitiert ihr braves Image des 70er-Jahre Kinos: zu diskret, um sofort beachtet werden; das Haar im Nacken zum Chignon geknotet, Blusen, weiche Kleider, Röcke. Und als Dominique wird sie trotz des Lächelns zudem unsicher und resignierend in Erkenntnis der Konkurrenz durch die von Bertrand angehimmelte Thuillier.
Beim ersten Rendezvous verlischt die Hoffnung Dominiques auf den charmanten Lehrer. Dem schmeckt ihre Apfeltarte und weder Michel noch dem Kinopublikum entgeht, wie drollig sie miteinander sind.
Doch dann erwähnt Bertrand bei einem Gespräch über die Schule den Namen der von ihm verehrten Kollegin mit einem gewissen verträumten Lächeln.

Bertrand ist so schüchtern, dass er niemandem anvertraut, dass er an einem Roman schreibt. Vor allem nicht der Thuillier, die vom Literaturzirkel der Stadt, der Académie des belles-lettres, einen lokalen Preis erhalten hat. Dabei zeigt einer seiner Schüler Mut zum Risiko. „Was ist Risiko?“, fragt Bertrand die Klasse. Und einer wagt es, seinen Aufsatz nach einer halben Minute abzugeben, ein leeres Blatt bis auf die Worte „Le risque, c’est ça!“
So wendet er sich an Dominique, in die er nicht verliebt ist, der er aber vertraut. Sie ist die nette Nachbarin, die Thuillier die Angebetete. Und einer Vertrauten dieses Manuskript zu zeigen, birgt noch kein allzu großes Risiko. Dominique ermutigt ihn, weiter zu schreiben.

Dominiques Kleider sind schlicht und zart, unaufdringlich wie die Rolle. Claude Jade wurde in Roben von Renata gekleidet. Das verrät der Abspann ebenso wie die Kontrolle bei den Szenen mit den Katzen durch die Tierschutzgesellschaft S.P.A. Der Unversehrtheit  eines Schauspielers nutzte das nichts. Als eine an einem Schirm herabschwebende Katze so nah an Michel Galabru vorbeistürzte, dass der Schauspieler vom Schirm verletzt wurde, spielten er und Claude Piéplu zum Glück weiter. Die beiden Komiker machen dem armen Bertrand das Leben schwer, denn der Zensor (Piéplu) hat den Schulinspektor (Galabru in einem Gastauftritt) geholt, um ihm die Inkompetenz Bertrands zu zeigen. Doch Dominiques Sohn und dessen Freund Robert (Stéphane Lievain) vereiteln das Vorhaben und holen zudem Dominique für ein Theaterprojekt mit Bertrand an die Schule.

Bereits in „La ragazza di via Condotti“ war Claude Jade die beste Freundin des Helden und wurde von ihm einer Femme fatale wegen übersehen wie Midge von Scottie in Hitchcocks „Vertigo“.
Hier bringt „Le Pion“ das Menuett aus Beethovens 7. Klaviersonate ins Spiel. Claude Jade probt das Stück mit ihrem Schüler bereits zu Beginn des Films.
Später fragt Bertrand sie nach dieser Melodie und Dominique erklärt ihm: Beethoven hatte dieses Stück einer Dame, die ihn eingeschüchtert habe, einer Gräfin, deren Name ihr nicht einfällt, als Liebeserklärung gewidmet. Tatsächlich ist bis heute wenig bekannt über Anne Margarete von Browne, die eine Gönnerin des 30jährigen Beethoven war.

Claude Jade spielt diesen ersten Flirt in Schüchternheit: Das Menuett ermutigt sie, erstmals über die Liebe zu reden, sie streicht sich durchs Haar, lächelt und senkt dann, überrascht von Bertrands „Ja, sehr schön“, den Blick. Sie ist es, die diese Annäherung abbricht, in die Hände klatscht und ihn fröhlich auffordert, sich wieder an seinen Roman zu setzen: „An die Arbeit!“.

Dominique (Claude Jade) ist die erste Leserin des Manuskripts „Jeu d’échecs“ von Bertrand (Henri Guybet): „An die Arbeit!“

Dominique kommt mit einer Neuigkeit: Albert Carreaud besucht die Stadt. Der Literatur-Nobelpreisträger wurde hier geboren und Bertrand soll zum Zirkel der Académie des belles-lettres gehen. „Ah bon“, sei alles, was er dazu zu sagen habe? Dominique fordert ihn auf, sich ihm vorzustellen, als Schriftsteller. Von Dominique ermutigt, schleicht sich Bertrand zum Empfang Carreauds.
Carreaud reicht ihm nur kurz die Hand, um ihn später im  Park zu seinem Roman zu beglückwünschen. Es sei das beste, das er seit langem gelesen habe. Den Roman solle er unter Pseudonym veröffentlichen: Bertrand Bergerac. Carreaud wird von Claude Dauphin gespielt, dem Vater von Claudes einstigem Freund Jean-Claude Dauphin („Le Témoin“). Es blieb Dauphins letzte Rolle. Er starb 1978.

Bernard Musson, Claude Jade, Maureen Kerwin, Claude Piéplu, Claude Dauphin, Denise Glaser, Le Pion, Prix Goncourt

Prix Goncourt für Bergerac mit „Le Pion“: Boussignac , Dominique , die Thuillier  und der Zensor sehen Carreaud bei Denise Glaser.

Boussignac (Bernard Musson) vom Literaturzirkel, Dominique, die Thuillier, der Zensor sehen im Fernsehen Carreaud, der in der Sendung von Denise Glaser verkündet, dass Bertrand Bergeracs „Le Pion“ den Prix Goncourt erhält. Nur Dominique weiß, dass sich hinter dem Pseudonym Bertrand versteckt.

Endlich können die beiden den Erfolg Bertrands feiern. Dominique muss ihm versprechen, seine Identität so lange als möglich geheim zu halten. Sie tut es mit Freuden, doch dann folgt sie einem Seitenblick Bertrands auf eine Fotografie auf seinem Schreibtisch.

Dominique entdeckt auf dem Foto die Thuillier und flüchtet aus der Wohnung ihres Nachbarn.
Nach der Bekanntgabe seiner wahren Identität in der Zeitung schmeißen sich jene, die Bertrand zuvor verspottet hatten, an ihn.
Dominique zieht sich zurück und geht nicht zur Ehrung, bei der  ihr Sohn und seine Mitschüler den im Publikum sitzenden Zensor und die ebenfalls anwesende Thuillier lächerlich machen.

Bertrand schleicht sich in Dominiques Wohnung, er nähert sich leise der an ihrem Tisch sitzenden Dominique, berührt fast ihr Haar, weicht zurück und spielt auf dem Klavier die ersten Anschläge des Beethoven-Menuetts.

Claude Jade schaut in der vorletzten Szene direkt in die Kamera, geht auf sie zu, als wolle sie Bertrand und dem Kinopublikum sagen: Jetzt ist alles gut.

Das Menuett wurde zum musikalischen Motiv für das Paar und Bertrand selbst. Claude Jade geht auf ihn zu und schaut dabei in die Kamera vor dem Kuss, auf den – nach einem eleganten Schnitt – Bertrand und Dominique heiraten. Die Kussszene war für Claude Jade und Henri Guybet auch der erste gemeinsame Drehtag für „Le Pion“.
Claude Jade: „Mein Partner gab zu, dass er nicht daran gewöhnt war, einen romantischen Charakter zu verkörpern oder im Film häufig eine hübsche Frau im Armen zu halten. Er war, gelinde gesagt, etwas besorgt. Wir mussten ins Wasser springen! Ich habe versucht, ihn durch Späße zu beruhigen und alles lief  einfach. Da waren unsere anderen Szenen schwieriger.“

Mit einem Schnitt vom ersten Kuss zur Hochzeit: Henri Guybet und Claude Jade in „Le Pion“

 

 

Auch wenn es unglaubhaft erscheint, dass der Held den Prix Goncourt erhält; der optimistische Ton, mit dem aus dem belächelten Aushilfslehrer ein anerkannter Schriftsteller wird, machte ihn zu einer der beliebtesten Identifikationsfiguren der französischen Filmkomödie der 70er Jahre. Im Gegensatz zum brachialen Schülerhumor der Les-Charlots-Komödien und der Reihe um die „7. Kompanie“ hebt sich „Le Pion“ als Komödie mit zärtlicherem Humor angenehm ab.
In Gions Film reflektieren die Schüler und setzen ihre Streiche allein zur Unterstützung ihres Lehrers ein.

Hinten links mit Brille: Christophe Guybet in seinem Filmdebut an der Seite seines Vaters. 1981 spielt er erneut mit Claude Jade in „Le bahut va craquer“.

Einen der Schüler spielt Henri Guybets Sohn Christophe Guybet. Auf dem Foto des Schlussbilds bei der Hochzeit ist er hinten links der Junge mit Brille. Drei Jahre später wird er in „Le bahut va craquer“ einen von Claude Jades Schülern spielen, den Gymnasiasten Bertrand. Und Papa Henri hat einen kleinen Gastauftritt als Aushilfslehrer „le pion“, allerdings in einer unsympathischen Variante. Mit von der Partie ist auch wieder Michel Galabru, der von den Schülern zusammen mit Claude Jade und Darry Cowl als Geisel genommen wird.

Claude Jade mochte den Film, weil er nicht die aufwändige „große Kavalerie“ war, die sich an die Masse wandte. Dennoch gilt er als Kinoerfolg und hat auch in TV-Ausstrahlungen sein großes Publikum. Das Bildungsministerium musste später melden, dass eine Antwort wie „Le risque, c’est ça!“ nicht belohnt würde.
Claude Jade: „Der Film, der in seiner Machart ganz konventionell ist, ist kein Meisterwerk, aber er ist Träger eines schönen Optimismus.“