BONSOIR
Frankreich 1992/94 Regie: Jean-Pierre Mocky Buch: Jean-Pierre Mocky, Jacques Bacelon, André Ruellan, nach dem Roman „Les égarements de M. René“ von Claude Bourgeix Kamera: Edmond Richard Musik: Vladimir Cosma Schnitt: Jean-Pierre Mocky Produzent: Jean-Pierre Mocky Produktion: Flach Films, Koala Lonely Pictures, M6 Films, Canal + EA: 19.01.1994
Darsteller:
Michel Serrault (Alex), Jean-Claude Dreyfus (Bruneau), Claude Jade (Caroline), Marie-Christine Barrault (Marie), Corinne Le Poulain (Gloria), Jean-Pierre Bisson (Marcel Dumont), Maike Janssen (Yvonne Dumont), Laura Grandt (Greta), Catherine Mouchet (Eugénie), Serge Riaboukine (Georges Bonfils), Laurence Vincendon (Catherine, Carolines Schwester), Monique Darpy (Tante Amélie), Roland Blanche (Tournefort), Jean Abeillé (Commissaire Corbeau), Jean-Pierre Clami (Isidore), Georges Lucas (Bouasse), Margot Aoustin (Mme Bruneau), Dominique Zardi (Carolines Nachbar), Mathieu Barbier (Capet), François Toumarkine (Clochard), Christian Chauvaud (Sam), Corinne Cicolari (Mme Dullin), Antoine Mayor (Tarasquet), Cyliane Guy (Virginie) u.a.
Chefschneider Alex verliert seine Stelle und quartiert sich als Obdachloser bei Fremden ein. In die Wohnung der vulgären Dumonts folgt ihm ein Dieb und alsbald jagt ihn der debile Ispektor Bruneau durch Paris. Derweil erweist Alex seinen Gastgebern einige Gefallen: Marie, ledige Mutter von sieben Kindern verschiedener Väter will ein achtes Kind; der lesbischen Caroline, die eine heimliche Geliebte hat, rettet er die Erbschaft…
Charmante Farce von Jean-Pierre Mocky mit Starensemble.

Während Corinne Le Poulain und Claude Jade flirten, bereitet Michel Serrault das Essen zu. Szene aus „Bonsoir“

Claude Jade in „Bonsoir“
„Tableau d’honneur“ läuft in den Kinos, als der Journalist Luc Honorez die Schauspielerin Claude Jade im September 1992 – kurz nach deren Dreharbeiten zu Jean-Pierre Mockys „Bonsoir“ – trifft.
In seinem Artikel „Quelques baisers volés sous la Coupole. Claude Jade tourne pour Mocky“, der mit einer Liebeserklärung beginnt („Vor 25 Jahren waren alle verliebt in Christine, ich wie die anderen… „) mahnt Luc Honorez sich, sie nicht Christine zu nennen: „Seitdem sind die Jahre vergangen. Die Erde war am Drehen, Claude Jade auch… Nach dem Weggehen und dem Wiederkommen nimmt sie das Filmen wieder auf wie jetzt für ,Bonsoir‘. Ich habe ein Telefonat mit Christine, nein – zwanzig Götter! – mit Claude. Das Rendezvous ist am Donnerstag um 11 Uhr an der Terrasse der Coupole am Montparnasse. Mein Herz beginnt zu rasen. Wegen der drei Tassen schnell verschlungenen Kaffees? Ja ja ja, zweifellos. Nein! Claude Jade kommt herein. Sie ist sehr schlank, fluid, zart: die Zeit hat sie liebkost.“
Claude Jade: „Heute weiß ich, dass das Schauspielmetier mir alles bringt, es ist mein Leben. Es erlaubt mir, zu überleben…“ Honorez merkt an, dass „zu überleben“ ein sehr starkes Verb sei. „Ja, zu überleben. Weil der Schauspielerberuf verhindert, Analysen zu erfahren, wenn was nicht gut geht. Es ist ein Beruf, der einem immer einen Fuß in der Kindheit bewahrt. Dies ist keine Ablehnung meinerseits, erwachsen zu werden, aber ich will meine Spontaneität und Imagination behalten. Es ist der schönste aller Berufe… Sicherlich kenne ich auch die Fehler; das Alter kommt ins Spiel und der Fakt, eine Frau zu sein auch. Man schreibt mehr Rollen für Männer von 40 Jahren als für die Frauen desselben Alters. Man muss lernen, dass sich die Beschäftigungen ändern wie auch anderswo im Leben.
Aber das Kino, und das ist gerade heute sehr hart, lehnt die meisten Schauspielerinnen ab, die die dreißig überschritten haben. Man macht eine Karriere zwischen 20 und 25 Jahren. Heute warte ich darauf zu altern und zu reifen, denn ich bin in einem schwierigen Alter für eine Schauspielerin.“
Es sei auch schwierig mit den Filmen von Truffaut, in denen das Bild erstarrt, das Bild von Claude mit 19 Jahren, sagt Honorez. Claude Jade: „Die Doinel-Filme sind immer lebendig und es ist eine große Freude, aber es gibt eine gefährliche Schneide an dieser Freude: ich muss unaufhörlich beweisen, dass ich andere Sachen machen kann als ein ewig junges Mädchen zu sein. Ich muss gegen mich selbst kämpfen und gegen mein jüngeres Selbst! Ah, Truffaut! Er war das poetische Gewissen des französischen Kinos, dem er schrecklich fehlt. Und er fehlt mir so sehr als Freund, mit dem ich telefonierte, wenn ich Rat brauchte. François ist jetzt in meinem ,grünen Zimmer’.

Corinne Le Poulain und Claude Jade als Liebespaar
Aber jetzt zur Gegenwart! Ich habe soeben gespielt in ,Bonsoir!’ von Mocky, der mich kontaktiert hatte, um mir an der Seite von Serrault eine Kontra-Besetzung vorzuschlagen: ich spiele eine Frau, richtig korrekt comme il faut, eine Kultur-Beamte und dazu eine heimliche Lesbierin, die mit Michel Serrault in ihrem Studio einen Typen aufnimmt, der beschließt, die schönsten Appartements von Paris zu besetzen. Die Rolle ist großartig, um ein Bild zu brechen, dass man von mir hat! Aber Mocky arbeitet in einer solchen Dringlichkeit! Er verbringt seine Zeit damit ,Moteur’ zu rufen, sogar, wenn man wiederholt. Etwas stressig, aber drollig und folkloristisch. Man beginnt gerade, mir ungereimte Rollen anzuvertrauen und das amüsiert mich.
Im Frühjahr habe ich in einem Stück von Michel Vinaver eine Mutter gespielt, die mit ihrem Sohn im HLM lebt, einem Sozialwohnungsbau.“ Honorez unterbricht erstaunt: „Eine Sozialwohnung! Dabei könnte man…“ Claude Jade führt weiter „…mich eher sehen als Vertreterin des Bon Chic Bon Genre. Sie können es ruhig sagen! Weswegen eine Frau, die in einer Sozialwohnung lebt, also notgedrungen vulgär wäre. Nur ein wenig Imagination, zum Teufel! Es ist wahr, dass ich zur Zeit der ,gestohlenen Küsse’ eine kleine gut erzogene Bürgerliche war, aber zu spielen heißt doch, seine Mütze über die Mühlen zu werfen, nicht? Ich will doch nur immer dort sein, wo man mich nicht erwartet.“
1994 kommt „Bonsoir“ in die Kinos und Claude Jade überrascht in ihrer neuen Rolle mit einer ungewohnten Biestigkeit. Skurriler Held ist Mockys Stammschauspieler Michel Serrault, der als Tweed-Schneider Alex Ponttin über Nacht arbeits- und obdachlos wird. Er quartiert sich nach Stationen in den Appartements eines Paares (Jean-Pierre Bisson und Maiké Jansen) und einer Mutter von sieben Kindern (Marie-Christine Barrault) bei der gutsituierten lesbischen Kulturfunktionärin Caroline Winberg (Claude Jade) ein. So zurückhaltend Caroline in ihrem Bekenntnis als Lesbierin ist, so offenherzig gibt sich ihre anscheinend gekaufte Geliebte Gloria (Corinne Le Poulain). Mit ihren Schulmädchen-Attitüden nimmt sie sich neben der prüden Caroline wie ein Call-Girl aus.
Dem ungebetenen Gast gegenüber weiß sich Caroline energisch und streitsüchtig zu behaupten. Sein Kuckucksnest weiß der seltsame Eindringling dennoch zu erobern: Caroline, anfangs zickig und verbissen, lässt sich erweichen und nimmt ihn großzügig auf. Die noble Geste zahlt sich aus, denn schließlich erweist sich Alex in einer kompromittierenden Situation als galanter Retter seiner Gastgeberin. Denn in dieser Nacht rauscht zudem unangekündigter Familienbesuch ins heimliche Liebesnest der outingscheuen Schranklesbe.
Ist Claude Jades Caroline Winberg in „Bonsoir“ eine liberale Vertreterin des hauptstädtischen Bürgertums, so entspricht ihre fiese Schwester Catherine (Laurence Vincendon, Titelheldin der 1975er Serie „Christine“) in Jean-Pierre Mockys Politfarce dem rechten Spektrum. Catherine will die Lesbierin denunzieren und ihr dank dieser Enthüllung das Erbe entziehen lassen. Catherine rauscht nebst erzkonservativer Erbtante Amélie (Monique Darpy) herein, um dieser Carolines skandalösen Lebenswandel unter die Nase zu reiben. Caroline gibt Gloria als Sekretärin aus, was die gehässige Schwester mit kaltem Lächeln und bösem Spott aufnimmt.
Tantchen Amélie wird schwindelig beim Gedanken, welche Intimitäten diese Sekretärin mit ihrer Nichte austauscht. Nachdem Gloria das Schlachtfeld verlassen hat, kommt die alte Schachtel wieder zu Kräften und droht Caroline wegen dieser Schande mit Enterbung. Caroline reagiert auf die Tirade gelassen und bietet den lieben Verwandten eine Führung durch die Wohnung. Der Tante graut es bereits vor dem Sündenpfuhl, als Caroline sie ins Schlafgemach bittet. Dort präsentiert sich der splitternackte Alex als Carolines Liebhaber. Der Erbtante ist dieser Anblick Beweis genug für Carolines Tugendhaftigkeit; Alex ist zwanzig Jahre älter als Caroline, doch er ist ein Mann! Sie enterbt die Denunziantin und erklärt die rehabilitierte Caroline zur Alleinerbin.
So wie sich Caroline über ihr gerettetes Erbe freut, ist Claude Jade glücklich über die Arbeit mit dem beeindruckenden Serrault und eine Rolle, die das Bild von Christine verdrängen könnte.
Luc Honorez, der den Film noch nicht gesehen hat, verfällt am Ende seines Artikels über das Rendezvous an der Coupole wieder dem Traum von der ewigen Christine Darbon: „Auf dem Trottoir vor der Coupole drücke ich die Hand von Claude Jade und umarme Christine. Claude hat sich gerade entfernt, als sich plötzlich Christine umdreht und mir zuraunt: Finde zurück zu deinen Sehnsüchten, was mir schnell gelingt, denn sie basieren in Claude, in Claude Jade. Dieses kleine Zeichen macht mich so glücklich, dass ich eine Passantin umarme und ihr erfreut ins Ohr rufe: Baisers volés!“
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