Pitoeff und Henri IV

Luce Garcia-Ville und Claude Jade in Sacha Pitoëffs "Henri IV"

Luce Garcia-Ville und Claude Jade in Sacha Pitoëffs „Henri IV“

Claude Jade 1967

Claude Jade 1967

1967. Claude Jade ist am Pariser Theatre Edouard VII Schülerin Jean-Laurent Cochets und spielt währenddessen bereits in der Serie „Les oiseaux rares“. Im Juni 67 erscheint bei Cochet der Regisseur Sacha Pitoëff. Er hatte fünf Jahre zuvor Romy Schneider als Nina in Tschechows „Möwe“ am Theater inszeniert und ist nun auf der Suche nach einer jungen Schauspielerin für seine Inszenierung von Luigi Pirandellos „Heinrich IV“ am Théâtre Moderne in der rue Blanche, dem heutigen Petit Théâtre de Paris. Claude spielt in Pirandellos Meisterwerk die Rolle der Frida Spina, die 1925 von Pitoëffs Mutter Ludmilla in der französischen Uraufführung kreiert wurde.

„Heinrich IV“ erzählt die Geschichte eines Mannes, der bei einem Kostümball, zu dem er sich als der deutsche Kaiser Heinrich IV verkleidet hatte, vom Pferd stürzte und seitdem glaubt, eben jener Kaiser zu sein. Im Laufe der Jahre wieder er selbst geworden, hält er den Anschein inmitten eines zeitgemäß kostümierten Hofstaats in der toskanischen Villa aufrecht. Zwanzig Jahre nach dem Unfall unterbreitet der junge Carlo di Nolli (Elie Pressmann) einen Vorschlag: Seine Verlobte Frida, Tochter und Ebenbild Matilda Spinas, der einstigen Geliebten des Wahnsinnigen, soll ihn bei der Rekonstruktion vergangener Ereignisse kurieren.

Luce Garcia-Ville, Claude Jade und Sacha Pitoëff in "Henri IV"

Luce Garcia-Ville, Claude Jade und Sacha Pitoëff in „Henri IV“

Claude Jade, Elie Pressmann, Luce Garcia-Ville und André Falcon in Sacha Pitoëffs "Henri IV"

Claude Jade mit Elie Pressmann, Luce Garcia-Ville und André Falcon in Sacha Pitoëffs „Henri IV“

Von Frida wird verlangt, nicht mehr sie selbst zu sein. Sie weigert sich und will auch die anderen von dem Vorhaben abhalten. Ahnungslos unterstützt die von Angst gepeinigte Frida mit ihrer Inkarnation der jungen Mathilde ein erneutes Verbrechen: Heinrich wird bei der Begegnung mit ihr einen Degen in seinen einstigen Nebenbuhler Belcredi (André Falcon) stoßen. Er schützt sich vor dem Gefängnis, indem er weiterhin Heinrich IV bleibt. Er wehrt sich gegen die unerträgliche Wirklichkeit; der Spiegel der Realität wird zur Wirklichkeit und die Realität zur Farce.

Pitoëff spielt den angeblich Verrückten und als Mathilde agiert seine Frau Luce Garcia-Ville. Pitoëff sagt Claude Jade, sie habe dasselbe Profil wie Luce, ideal für die vom Stück geforderte frappierende Ähnlichkeit von Mutter und Tochter.

Claude Jade, Sacha Pitoëff, Luce Garcia-Ville in "Henri IV"

Claude Jade, Sacha Pitoëff und Luce Garcia-Ville in „Heinrich IV“ von Luigi Pirandello

Pitoëff inszeniert bis ins kleinste Detail die Uraufführung seines Vaters nach: Ausstattung, Kostüme und Maske sind den Notizen Georges Pitoëffs nachempfunden. Maskottchen der Truppe ist Teckel Castro, der in der Garderobe der Pitoëffs schläft und in Tschechows „Kirschgarten“ auftritt. Claude wird von dem Schauspielerpaar wie eine Tochter aufgenommen. In deren Wohnung am boulevard des Invalides ist sie willkommener als in der rue de Rémusat. [mehr dazu in einem kommenden Artikel zu „Les oiseaux rares“]  So verbringt sie mit den Pitoëffs und deren Kindern auch das Weihnachtsfest. Luce findet für Claude einen geistreichen Spitznamen: Als sie im Herbst für den Dreh der zweiten Staffel von „Les oiseaux rares“ auf dem Sozius eines Motorrads durch Paris fährt, nennt Luce sie in Anspielung an die heimatliche Mostrich-Stadt „la motarde de Dijon“.

"la motarde de Dijon" - Claude Jade, "un oiseau rare"

„la motarde de Dijon“ – Claude Jade, „un oiseau rare“

Die Generalprobe ist am 14. September. Das Stück wird ein großer Erfolg, die Kritiker sind einhellig begeistert von der Inszenierung und dem Ensemble. Claude Jade ist nun als junge Theaterentdeckung bekannt und „Paris Match“ druckt ein ganzseitiges Farbfoto von Claude Jade und Sacha Pitoëff. Auch im deutschen Fachblatt „Die Bühne“ wird „der klare Sopran“ Claude Jades neben dem dunklen Mezzo Luce Garcia-Villes besprochen. Ihr Name ist nun auf Plakaten zu lesen, die an den Pariser Litfaßsäulen prangen.

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Autogrammkarte für "Henri IV"

Autogrammkarte für „Henri IV“

Dennoch ist sie eingeschüchtert, wenn sie im Café neben dem Theater andere Schauspielschüler bemerkt, die vertraut diskutieren und tuscheln. Einer von ihnen, Jacques Weber, wird ihr einige Jahre später verraten, was die Schüler damals flüsternd besprachen: „Schau nur, da drüben ist das Mädchen, das von den Pitoëffs engagiert wurde!“ Zwei Absolventinnen des Dijoner Konservatoriums machen gleichzeitig Karriere an Pariser Bühnen: Marlène Jobert mit Peter Shaffers „Komödie im Dunkeln“, Claude Jade mit Pirandellos „Heinrich IV“.

Und nach dem 14. September sitzt wiederholt ein Mann im Saal des Théâtre Moderne, der Claude Jade kurz darauf eine Rolle in seinem neuen Film anbietet. Es ist François Truffaut. „Er holt gern Schauspieler vom Theater“, wird sie 1969 in einem Interview mit Kevin Thomas von der „Los Angeles Times“ sagen: „Und er liebt es, wenn sie nicht wissen, dass er anwesend ist.“

Warten auf das Floß 1987 bis 1998

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Claude_Jade_dans_Le_Radeau_de_la_MeduseDie längsten Dreharbeiten zu einem Film beginnen für Claude Jade im Sommer 1987. Mit Jean Yanne, Daniel Mesguich, Rufus und Philippe Laudenbach geht sie an Bord des Nachbaus der „Méduse“ im Film von Iradj Azimi, „Le radeau de la Méduse“ (Das Floß der Medusa). Ein Hurrikan zerstört das Schiff und die Dreharbeiten zu dem Historiendrama ziehen sich über einen Zeitraum von drei Jahren.  Erst 1998 kommt der Film in die Kinos. Mehr zum Film in der Filmographie unter „Le Radeau de la Méduse“.

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Link zu LE RADEAU DE LA MÉDUSE

die Jahre in Moskau

Золотой приз МКФ в Москве 1981: Александр Алов, Наталия Белохвостикова, Клод Жад, Игорь Костолевский, Армен Джигарханян

Triumph der Festival-Gewinner Moskau 1981: Regisseur Alexandr Alov mit den „Teheran 43“-Stars Natalia Belochwostikowa, Claude Jade, Igor Kostolewski und Armen Dshigarchanian

Links zu zwei sowjetischen Filmen mit Claude Jade: „Teheran 43“ und „Lenin in Paris“

Claude_Jade_Bernard_CosteBernard Coste muss 1979 als Generalsekretär des Kulturministeriums der Französischen Botschaft Moskau in die Sowjetunion übersiedeln. Seine Frau Claude  kennt Moskau bereits von einem viertägigen Aufenthalt bei den Filmfestspielen 1971. Nun wird sie ab dem Frühjahr 1979 für drei Jahre dort leben, in zwei sowjetischen Filmen spielen und zum Drehen für zwei weitere Kino- und sieben TV-Filme immer wieder nach Frankreich fliegen. Oder in der Tschechei den deutschen Film „Rendezvous in Paris“ drehen.  Sie behalten die Wohnung in Boulogne, denn ein Hotelleben in Frankreich kann sie sich nicht vorstellen.
In Moskau, wo die Menschen in den Magasins Schlange stehen, an manchen Tagen kästenweise Bananen einheimsen und an anderen Tagen Rasierschaum-Rationen, bemerkt sie einen Soldaten, der massenweise Toilettenpapier mit sich trägt, weil es endlich welches zu kaufen gibt. Sie ist privilegiert und kann in den Berioskas mit Devisen einkaufen, in denen fast alles erhältlich ist. Doch Tomaten, Kosmetik, Papiertaschentücher, Käse, Olivenöl oder Videokassetten muss sie in Paris besorgen.

Claude_Jade_Moscou_1981Zu jener Zeit ist sie nicht die einzige französische Künstlerin, die zwischen Moskau und Paris pendelt. Sie begegnet – ausgerechnet am Flughafen – Marina Vlady, die ebenfalls in Paris arbeitet und in Moskau mit ihrem Mann, dem Dichter, Schauspieler und Sänger Wladimir Wyssotzki, lebt. Vlady hatte bereits zehn Jahre zuvor in einem sowjetischen Film des Regisseurs Sergej Jutkewitsch gespielt. Jutkewitsch engagiert nun Claude Jade für sein letztes Werk „LENIN IN PARIS“ , in dem sie die Revolutionärin Inessa Armand spielt. Ein weiterer russischer Film, den Claude Jade in jener Zeit dreht, ist die sowjetisch-französische Großproduktion „TEHERAN 43“.

Truffaut sendet ihr zu jenem Zeitpunkt ein Buch über sich aus der Reihe „L’Age d’homme“ mit einer amüsanten und treffenden Widmung: „Für die köstliche Madame Doinel, Botschafterin des Charmes im Land des Messers zwischen den Zähnen. Mit all meiner Zuneigung, françois.“  Später wird ihr auch Jutkewitsch ein ihm gewidmetes Buch aus der selben Reihe senden und ihr schreiben: „Für eine sehr große Schauspielerin, Claude Jade, mit Bewunderung, sehr freundschaftlich Sergej Jutkewitsch. Paris-Moskau 1980“.

Vladimir Antonik, Sergej Jutkewitsch, Claude Jade Ленин в Париже Сергей Иосифович Юткевич Sergei Yutkevich Sergueï Ioutkevitch Клод Жад — Инесса Арманд Владимир Антоник — Александр Трофимов

Vladimir Antonik, Sergej Jutkewitsch und Claude Jade

Lenin_in_Paris_film_Yutkevich_Claude_JadeClaude Jade, die noch vor Beginn ihrer russischen Filme das kyrillische Alphabet lernt, um sich in der Stadt – speziell beim Einkauf auf dem Markt der Kolchosen – zurechtzufinden, freundet sich mit der französischen Pianistin Brigitte Engerer an.
Sie besuchen Engerers Meister Stanislav Neuhaus, den Stiefsohn Boris Pasternaks, und Claude besichtigt das winzige Arbeitszimmer des Schöpfers von „Doktor Schiwago“, das gleichzeitig sein Schlafraum war und sie an eine Mönchszelle erinnert. An seinem Grab steht wie vor vielen anderen eine Bank, auf der Angehörige in unmittelbarer Nähe der Toten picknicken oder ihrer mit Wodka gedenken können.

Im Juni 1981 wird „Télé 7 jours“ in seinem Bericht „Claude Jade: double carrière à Paris et à Moscou“ sie als die Gastgeberin der französischen Moskau-Besucher preisen: „An ihrem Tisch, wo die Bifteck-frites mit Borschtsch und Blinis alternieren, empfängt sie französische Künstler, die sie dann in die Museen und Theater Moskaus steuert. Micheline Presle, eingeladen zur Woche des französischen Films, war bereits ihr Gast.“

Claude Jade mit ihrem Sohn Pierre Coste

Claude Jade mit ihrem Sohn Pierre Coste

Клод Жад (Claude Jade)

Als neben Jean-Jacques Beneix, Alain Bonnot und Evelyne Dress die platinblonde russisch-französische Schauspielerin Katia Tchenko, zu jener Zeit ein begehrtes Pin-up, die Costes besucht, versucht sich der kleine Pierre als Connaisseur en russe: „Du weißt schon, Maman, dass Katia schöner ist als du.“

Leonid Eidin, Claude Jade, Sergej Jutkewitsch und Elena Korenewa

Alexander Alov, Vladimir Naumov und Claude Jade bei der Aufführung von „Teheran 43“

Auf die armenisch-französische Freundschaft - hier mit Armen Dshigarchanian im Film "Teheran 43"

Auf die armenisch-französische Freundschaft – hier mit Armen Dshigarchanian im Film „Teheran 43“

Dem russischen Winter kann Claude bei einer Armenienreise entfliehen: Sie lassen Pierre bei Bernards Eltern in Moskau und treffen in Jerewan den Schriftsteller Georges Conchon, den Claude 1970 als Jurymitglied in Hyères kennengelernt hatte, und den Politiker Georges Gorse. Als in einer Kolchose die französisch-armenische Freundschaft begossen wird, nehmen die Toasts kein Ende; auf jede neue Ansprache muss ein Glas erhoben und geleert werden. Claude Jade erinnert sich in ihren Memoiren: „Es gelang mir, eine Flasche Wasser zu verstecken;   ich behielt sie unter der Tafel und füllte aus ihr diskret nach. Bald wurde jenen sehr übel, die nicht diese Vorsichtsmaßnahme ergriffen hatten. Als sie sich zum Schluss der Mahlzeit von der Tafel zu erheben und auf ihren Beinen zu halten versuchten, war ihnen ein torkelnder Zickzackgang sicher… Am nächsten Tag wurde das Frühstück auf Geheiß unserer Gastgeber verschoben zugunsten der Bekanntmachung mit dem lokalen Cognac! Für mich war es undenkbar, diesen heftigen Alkohol so früh am Morgen zu trinken. Ich ersetzte ihn durch Pflaumensaft, der die gleiche Farbe hatte und umging so das Risiko, ihre Empfindlichkeit zu verletzen noch eine Migräne zu bekommen und ich erwies ihnen dennoch meine Ehre an ihre Gastfreundschaft.“

Auf dem XII. Moskauer Internationalen Filmfestival, das ihre beiden Filme „Teheran 43“ und „Lenin in Paris“ präsentiert, steht Claude Jade gemeinsam mit den sowjetischen Schauspielern und Regisseuren auf der Bühne. Die französischen Gäste des Festivals begrüßt sie weiterhin als Gastgeberin.  Noch zehn Jahre später sind Kollegen überrascht, als sie erfahren, dass sie wieder in Paris lebt. Trotz der kontinuierlichen Arbeit in Frankreich wähnten sie Claude Jade weiterhin in Moskau.

Bericht über Claude Jade in ihren sowjetischen Filmen "Teheran 43" und "Lenin in Paris" - Клод Жад («Тегеран-43»; «Ленин в Париже»)

Клод Жад – Claude Jade

Topaz (1968/69)

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Ihr 20. Geburtstag am 8. Oktober 1968 ist zugleich ihr erster Drehtag für Alfred Hitchcocks „Topas“. Claude Jade spielt die Rolle einer Agententochter, die in die Enttarnung eines französischen Spionagerings involviert ist. Gegenüber „Look“ erklärt Hitchcock:  „Claude Jade is a rather quiet young lady, but I wouldn’t guarantee about her behavior in a taxi“.  Ein ausführlicher und reichlich illustrierter Bericht über Claude Jade in Hitchcocks Thriller ist unter diesem LINK zu finden: Claude Jade in Alfred Hitchcocks „Topaz“

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Artikel unter Filmographie → Alfred Hitchcock – TOPAZ