Les feux de la chandeleur

LES FEUX DE LA CHANDELEUR (Kerzenlicht)
F/I 1972 Regie: Serge Korber  Buch: Korber, Pierre Uytterhoeven, Roman: Catherine Paysan  Kamera: Jean-Jacques Tarbès  Musik: Michel Legrand  Schnitt: Henri Lanoe Produzenten: Gérard Beytout Prod.: SNC/Mega Film  EA: 24.05.1972  DA: 14.11.1976
D: Annie Girardot (Marie-Louise Boursault), Jean Rochefort (Alexandre), Claude Jade (Laura Boursault), Bernard Le Coq (Jean-Paul Boursault), Bernard Fresson (Marc Champenois), Gabriella Boccardo (Annie), Ilaria Occhini (Clotilde), Jean Bouise (Bouteiller), Isabelle Missud (Laura als Kind), Christophe Bruno (Jean-Paul als Kind), André Rouyer (der Redner), Yvon Sarray (der Arzt), Carlos de Carvalho (der Parteigenosse) u.a. 

1962 wird Marie-Louise von Ehemann Alexandre, einem Notar, den ihr sozialistisches Engagement überfordert, verlassen. Die Kinder Jean-Paul und Laura bleiben bei der Mutter, das getrennte Paar verbleibt in der selben Stadt. Zehn Jahre später, Laura ist inzwischen Medizinstudentin und Jean-Paul hat geheiratet, hofft Marie-Louise mehr denn je auf eine Rückkehr Alexandres. Sie bringt Laura mit ihrem besten Freund, dem Lehrer Marc, zusammen. Doch ihr Leugnen der Realität und ihr Festhalten an Alexandre stößt bei Laura und Jean-Paul auf  Unverständnis.
Der Filmdienst bezeichnet den Film als „psychologisch überzeugend ausgelotet und exzellent gespielt.“

1972 wird Claude Jade ein Jahr nach „Le bateau sur l’herbe“ in Cannes erneut Frankreich vertreten, denn 1972 ist „Les feux de la Chandeleur“ Frankreichs offizieller Beitrag im Wettbewerb um die Goldene Palme.

Nach „Le bateau sur l’herbe“, in dem sie im Kino erstmals eine Gegenbesetzung als unbekümmert eine Freundschaft zerstörende Figur hatte und dafür großes Lob erhielt, spielte sie 1971 die Titelrolle in der TV-Verfilmung des Theaterstücks „Shéhérazade“, für die sie ebenfalls von der Kritik gefeiert wird. Sie fliegt danach erneut nach Brasilien, wo sie in São Paulo von Bernard Coste zur Premiere von „Le bateau sur l’herbe“ als „O barco na relva“ begleitet wird, dann reisen sie nach Brasilia und nach Rio de Janeiro, wo sie den 31. Dezember gemeinsam verbringen – und Claude so die TV-Ausstrahlung von „Shéhérazde“ zum Jahreswechsel nicht sehen kann. Das private Glück ist ihr auf dem Zenit ihrer Karriere wichtiger. Sie reist durch Brasilien, fühlt sich wohl in Bernards Gegenwart und leidet ein wenig darunter, dass ihre große Liebe am anderen Ende der Welt zurückbleiben muss. Sie muss ihn im Januar für zwei andere Bernards verlassen, ihre Partner in „Les feux de la Chandeleur“ (Kerzenlicht). Der Film entsteht vom 17. Januar bis zum 4. März in Ornans und Vuillafans im Loue-Tal im Jura-Gebirge sowie in Besançon.

Jean Rochefort, Claude Jade, Gabriella Boccardo, Bernard Le Coq, Annie Girardot

Claude Jade ist als Laura Boursault die Tochter von Annie Girardot und Jean Rochefort, der 21jährige Bernard Le Coq spielt in seiner ersten großen Hauptrolle ihren Bruder und Bernard Fresson ihren Geliebten. Komödienspezialist Serge Korber, der ein Jahr zuvor mit Louis de Funés die Komödien „L’homme orchestre“ und „Sur un arbre perché“ gedreht hatte, adaptiert mit „Les feux de la Chandeleur“ einen Roman von Catherine Paysan, in dem es weit weniger lustig zugeht. „Lorsque l’hiver se meurt, au feux de la chandeleur, la neige de mon cœur fond au soleil du rêve“, singt Mireille Mathieu im Titellied Michel Legrands.


Vor zehn Jahren wurde Marie-Louise Boursault (Annie Girardot) von ihrem Mann Alexandre (Jean Rochefort) verlassen. Der Notar hatte das leidenschaftliche Engagement seiner Frau in der sozialistischen Partei nicht mehr ertragen: Während Marie-Louise die Demonstrationen anführt, werden ihre Kinder Jean-Paul und Laura von Jugendlichen überfallen. Marie-Louise hofft auch nach zehn Jahren auf Alexandres Rückkehr, der immer noch in der selben Stadt – mit neuer Partnerin – lebt. Der christliche Feiertag Chandeleur, Mariä Lichtmess, wird an jedem 2. Februar, vierzig Tage nach Weihnachten, begangen – es ist jener Tag nach zehn Jahren, den Roman und Film im Titel tragen. Und am 2. Februar 1972 setzt sie einen roten Strohhut auf und verkündet, es sei nun Frühling. Alexandre besucht sie nun erstmals nach Jahren und rät ihr zu einer neuen Frisur. Für Marie-Louise der Grund, an seine Rückkehr zu glauben.

Sie schreibt ihrer Tochter Laura von der Begegnung und wie ihre Hände sein Haar berührten. Sie habe nun  keine Angst mehr, nur weil Alexandre jetzt mit Clotilde verheiraret sei. Als Kind habe sie in den Haaren ihres Vaters gewühlt und ihn gefrat, ob der Wolf in diesem Wald sei. Das sei der Schädel des Wolfs, doch wenn sie vor dem Wolf keine Angst hätte, so würde der Wolf ihr auch nichts tun. 


Bernard Le Coq (Jean-Paul Boursault) und Claude Jade (Laura Boursault) als Bruder und Schwester

Laura (Claude Jade), die in Paris Medizin und Psychologie studiert, kommt der Einladung aus dem Brief nach und in den Winterferien in die verschneite Stadt, in die ein sibirischer Winter eingezogen zu sein scheint. Lauras Bruder Jean-Paul (Bernard Le Coq), der wenig übrig hat für die verrückte Liebe seiner Mutter, holt Laura ab. Maman sei verrückt wie eine frisch verliebte Siebzehnjährige in einer Amour fou, gegen jede Vernunft dav on überzeugt, Alexandre könnte zurückkehren. Laura darf den Vorwurf ertragen, dass sie von außen nicht beurteilen könne, wie verrückt Mamouchka sei. „Wärst du nicht mein Bruder, würde ich dich hassen.“ „Wärst du nicht meine Schwester, könnte ich dich nicht ertragen.“ 

Laura freut es auch wenig, dass ihr Vater mit seiner neuen Freundin Clotilde (Ilaria Occhini) glücklich ist und sich ihre Mutter in letzter Zeit oft mit einem gewissen Marc Champenois (Bernard Fresson) trifft, den sie mit Laura verkuppeln will. „Ich habe keine Lust auf diesen Marc Chandois oder Champois“, nörgelt Laura, weil sie Marc Champenois vorgestellt werden soll, dem Parteifreund ihrer Mutter, einem Lehrer.


Marie-Louise rät Laura, ihre Aktivitäten und gesellschaftliches Engagement nicht über die Liebe zu stellen und dazu zu stehen, eine Frau zu sein, voll und ganz. Laura, selbst feministisch, lehnt sich gegen dieses traditionelle Frauenbild auf. 

Claude Jade, Annie Girardot, Gabriella Boccardo, Bernard Le Coq

Bernard Le Coq (Jean-Paul) und Claude Jade (Laura)

Bernard Le Coq, Bernard Fresson, Annie Girardot, Claude Jade

Claude Jade und Annie Girardot in „Les feux de la chandeleur“ (Kerzenlicht, 1972)


Sie haben keinen guten Start, der Provinzlehrer Marc und Laura, die nur über Politik  und die Rolle der Frau diskutieren will. Laura meint, erst wenn sie arbeite, sei eine Frau frei im Sinne der Unabhängigkeit. Dem ewigen Konflikt zwischen den Eltern nicht gewachsen, entlädt sich Lauras Wut auch gegen die Mutter, die sagt, dass Alexandre zu ihr zurückkehren werde. Laura: „Daran glaubst auch nur du. Papa war seit acht Jahren nicht mehr hier.“ Nach Lauras Worten sinkt die Mutter in die Arme von Jean-Paul und Marc, Laura stammelt eine Entschudigung, dass sie zu müde sei und wird selbst von ihrer Schwägerin Annie (Gabriella Boccardo), Jean-Pauls Frau, getröstet.

Claude Jade, Bernard Le Coq, Gabriella Boccardo

Bernard Fresson, Claude Jade, Berard Le Coq, Gabriella Boccardo

Jean Rochefort, Claude Jade, Bernard Le Coq, Gabriella Boccardo

Jean Rochefort und Claude Jade als Vater und Tochter in "Kerzenlicht" (Les feux de la chandeleur, 1972)

Jean Rochefort und Claude Jade als Vater und Tochter in „Kerzenlicht“ (Les feux de la chandeleur, 1972)

„Non, merci“. Claude Jade, Ilaria Occhini, Bernard Le Coq. Laura und Jean-Paul mit Clotilde, der neuen Frau des Vaters

Als Laura später von Alexandre und dessen neuer Partnerin Clotilde zum Essen eingeladen wird, beschwert sie sich bei ihrem Vater zwar über Champenois, doch im Subtext insistiert sie bei Alexandre auf eine mögliche Rückkehr zur Familie und zeigt sich bei Clotildes dargereichten Speisen appetitlos: „Non, merci“.  

Jean Rochefort, Claude Jade, Gabriella Boccardo, Bernard Le Coq

Claude Jade bleibt auch hier subtil. Was eine galante Giftspritze im BCBG angedeutet wird, darf auch als Zurückhaltung in der Bewertung des Verhaltens ihrer Mutter gewertet werden.  Während sich Rocheforts Figur des Vaters im Hintergrund hält, Bernard Le Coq als Sohn mit allen Mitteln versucht, die Mutter von ihren Illusionen loszureißen, ist Laura in ständigem Wechsel der Gefühle. Sie will frei und unabhängig sein und sich dennoch mit ihrer Mutter aussöhnen.

Annie Girardot, Gabriella Boccardo, Bernard Le Coq, Claude Jade, Bernard Fresson

Laura hat von ihrem Vater ein Armband geschenkt bekommen. Ihre Mutter erkennt, dass es aussieht wie jenes, das sie selbst einst von ihm erhielt. Mutter und Tochter eint Verbundenheit. Ein Bild, das Marc bemerkt, der Laura dahin zum Abschied einen Kuss auf die Wange gibt. Die Kamera umkreist Claude Jade nach dem unvermittelt erfolgenden Kuss von Bernard Fresson, der wie eine Verzauberung auf die spröde Studentin hereinbricht. Ein einziger Kuss bringt Laura zum Straucheln. Weich und verträumt liegt sie nun in ihrem spitzenbesetzen Nachthemd wach und verfällt dem Muster ihrer Mutter: alles politische Engagement ist letztendlich unerfüllend, wenn der liebende Mann ausbleibt. Die Melodie Michel Legrands, hier zwischen der Poesie aus den „Parapluies de Cherborg“ und dem Pomp von „Un homme qui me plaît“,  zuckert dieses wirklich edel gefilmte Bild von Claude Jade meisterhaft zu – und da sie von Legrand stammt, gelingt dies ohne in Kitsch zu verfallen. Und Claude Jade bleibt als Laura weiterhin selbstbewusst und verliert sich nicht in Marc.

 

Claude Jade, Annie Girardot „Les feux de la chandeleur“

Claude Jade, Bernard Le Coq

Bernard Le Coq, Annie Girardot, Claude Jade

Als Lauras Schwägerin Annie schwanger wird und Marie-Louise nun die Hoffnung hegt, dass auch Laura irgendwann Mutter werden könne, kracht es erneut zwischen Tochter und Mutter. Sie werde ihr nicht den Gefallen tun und mit Marc Champenois ein Kind zeugen.

Bernard Le Coq, Claude Jade, Annie Girardot

Annie Girardot, Claude Jade, Bernard Le Coq, Gabriella Boccardo

Annie Girardot, Claude Jade, Gabriella Boccardo, Bernard Le Coq

Claude Jade, Annie Girardot, Bernard Fresson

Bernard Le Coq, Claude Jade, Annie Girardot, Bernard Fresson „Les feux de la chandeleur“

Nach den Debatten tanzen Claude Jade und Bernard Fresson, während der Schnee draußen in großen Flocken fällt. Laura kann ein Treffen der Eltern arrangieren.

Marie-Louise setzt viel Hoffnung in Alexandres Besuch. Er streichelt zum Abschied die Wange seiner Exfrau. Nach Alexandres Weggang  muss Laura die Mutter ein weiteres Mal trösten. Es klopft erneut und Marie-Louise schreckt auf in der Hoffnung, es sei Alexandre. Doch es ist Marc, der jetzt Laura einen Antrag macht. Marie-Louise strahlt vor Glück und Lebensfreude.


Bernard Le Coq, Bernard Fresson, Claude Jade, Gabriella Boccardo „Les feux de la chandeleur“ (Kerzenlicht)

Gemeinsam mit Laura und Schwiegertochter Annie wirbelt Marie-Louise durch die Küche, als Jean-Paul auftaucht und seiner Mutter trotz Lauras Zurechtweisung, er solle still sein, ins Gesicht schreit, Alexandre werde nie wieder zurückkommen und wegziehen. Die gerade noch fröhliche  Marie-Louise stirbt an einem Infarkt. In Zeitlupe fällt sie auf den Boden, Laura stürzt sogleich zu ihr, beugt sich über Mamouchka. Sie ist tot.

Nur wenige Minuten später erscheint Alexandre, der sich für eine Rückkehr zu Marie-Louise entschieden hat. Alexandre, Laura, Marc und Annie nehmen den vom Friedhof geflüchteten Jean-Paul am Flussufer in ihre Mitte und gehen durch den Schnee; Marie-Louises roter Strohhut treibt indes im Strom eines am Uferrand vereisten Gebirgsflusses.


Das Thema Verleugnung wird selten als Leitthema behandelt, hier zerbricht die leidenschaftlich verleugnende Marie-Louise an der Realität – oder in diesem irrealen Ende an dem, was ihr Sohn für die Realität hält. Der Scheidung ihrer Eltern und dem Drama setzen die beiden jungen Hauptdarsteller Bernard Le Coq und Claude Jade die sonnige, helle Seite entgegen, bis auch die beiden in den Strudel geraten.

Die Rolle der Laura ist sie in ihrem Trotz erfrischend, ein wenig arrogant sogar, rebellisch in ihrer klar definierten Aufsässigkeit, weise schließlich in ihrem Verständnis und in ihrer Natürlichkeit ohnehin bezaubernd. Annie Girardot ist für Claude Jade ein großes Vorbild. Sie ist beeindruckt von deren Spontanität, ihrer Leidenschaft, ihrem Enthusiasmus und der Einfachheit. Es bereitet ihr Vergnügen, wenn Mutter und Tochter gemeinsam weinen, lachen, streiten, sich versöhnen und verbünden. Noch Jahrzehnte später wird Claude Jade ihre Kollegin wie im Film „Mamouchka“ nennen. Doch alle Bewunderung für Girardot in Ehren: Wenn Claude Jade von einem Sessel auf ihre weinende Filmmutter schaut und ihr dabei selbst die Tränen in die Augen steigen, weil diese das schöne Armband bewundert, dass der Vater ihr gerade geschenkt hatte, ist sie in ihrem Reagieren auf das Spiel der bewunderten Kollegin bewegend, weil sie eben jene Reife hat, die eigene Verletzung zurückgenommen in subtil reagierender Darstellung zu zeigen. Wenn Claude Jade in einem Gespräch mit Bernard Fresson von Klassenkampf berichtet und einem Arbeiter, der ein Jahr lang wie ein Fabrikbesitzer leben darf und dann nach Ablauf des Jahres an seinen Arbeitsplatz zurückkehrt und den Direktor des Unternehmens erschießt, erscheint es in Erfahrung ihrer Abende mit Jean-Claude Dauphins Freunden als eine persönlich angeeignete Replik. In jener Szene übernimmt Claude Jade als Laura das sozialistische Ideal der Mutter, das im weiteren Verlauf von Korbers sentimentalem Drehbuch ebenfalls der Macht der Liebe untergeordnet und somit ein wenig entkräftet oder aufgetaut wird. Während die Mutter ihrer fixen Idee folgt, der Vater passiv und der Bruder verständnislos bleibt, besteht ihre Laura in diesem Film als einzige Figur, die durch ihre Entwicklung wirkliche Veränderung einbringt. Dabei lässt der Film Laura nicht verweichlichen, selbst als sie sich auf Marc einlässt – bei ihr bleibt klar, dass sie arbeiten wird.

Das Ensemble der fünf bis sechs Hauptfiguren ist beeindruckend. Sicher ist Girardot hier in einer ihrer lebendigsten Leistungen zu erleben: Die Verrücktheiten im Überschwang und Freude in ihrer irrational anmutenden Hoffnung auf einen Neuanfang mit dem Ex-Mann, ausladende Gesten, feuriges Streiten mit der Tochter, Herumbalbern beim Crêpes-Braten mit Laura und Annie in der Nacht, der Kauf eines roten Huts für Tochter Laura und dann die tiefe Verzweiflung und Trauer nehmen viel Raum ein. Doch es bleibt noch Platz für ihre Partner: Jean Rochefort hatte mit 41 Jahren seine erste Hauptrolle, die zugleich seine erste romantische Rolle war: „Les feux de la Chandeleur“ etablierte bei Jean Rochefort zudem den Moustache, den er seitdem nur für seine Rolle in „Ridicule“ (1996) abnahm.

Jean Rochefort und Claude Jade in „Les feux de la chandeleur“ (Kerzenlicht)


Der Schnauzbart ließ den jungen Schaupieler Jean Rochefort bedeutend reifer wirken; der Schauspieler erscheint distinguiert und erobert so sein neues Rollenfach. Rochefort, ein Jahr jünger als Annie Girardot, überzeugt als langweiliger konservativer Ehemann einer sich verrückt gebärdenden Frau. Und zudem gab den Verlobten seiner Filmtochter Claude Jade der nur ein Jahr jüngere Bernard Fresson.  Der jungenhafte Bernard Le Coq ist gerade 21 und hatte zwei Jahre zuvor seine erste wichtige Rolle in Édouard Molianaros „La liberté en croupe“. Ihm gelingt mit der starken Hauptrolle des Jean-Paul der Durchbruch. Parallel zu „Les feux de la chandeleur“ spielt er im nahen Doubs in Pontarlier Simone Signorets stehlenden Sohn Paul in Krimi „Les granges brulées“ und ist kurz darauf der Titelheld in Jean Giraults Komödie „Le concierge“. Bernard Fresson als Lauras Freund Marc ist wie Gabriella Boccardo als Jean-Pauls Frau Annie sympathisch und Ilaria Occhini als Alexandres neue Frau Clotilde ist ebenfalls liebenswert und dabei solide. Claude Jade bringt neben der Spontaneität ihrer Figur vor allem leuchtende Frische in den Film.  „Claude Jade war strahlend und von einer Frische, und was für einer Frische!“, schwärmt Serge Korber 2008 in einem Interview zur DVD-Veröffentlichung von „Les feux de la Chandeleur“ in der Reihe „Les classiques français“.

                                                                                                                              Parallele Leben

Für die Szene, in der Claude Jade im Nachthemd in den Schnee läuft, wird dieser durch weißen Schaum ersetzt. Denn ausgerechnet in diesem Winter ist das Jura nicht so kalt wie gewohnt. Dennoch muss sie nach der Szene ihre Füße in einer Wanne aufwärmen. Doch aus dem winterlichen Jura reist sie schon bald zu ihrem Verlobten ins sonnendurchflutete Brasilien, das ihr zur zweiten Heimat geworden ist.

Während Claudes Bernard in Brasilien ist, hat ein Teil der Besetzung hat seine Familie dabei; Girardot ihre neunjährige Tochter Guilia Salvatori, der Regisseur Serge Korber seine Frau Marie-Claire und einen Sohn in Giulias Alter und Jean Rochefort wird von seiner zweiten Ehefrau Aleksandra Moskwa und seinen Kindern begleitet, Marie (*1962) und Julien Rochefort (*1965), der später ebenfalls Schauspieler wird.

Girardots Ehemann Renato Salvatori, der aus Rom anreist und im nur eine halbe Stunde entfernten Pontarlier neben Simone Signoret, seinem Freund Alain Delon und Bernard Le Coq eine Nebenrolle in „Les granges brûlées“ spielt, lässt sich nicht anmerken, dass Annie und Bernard Fresson eine Affaire haben. Die beiden spielen zusammen Karten. Während Girardot im Film Claude Jade mit Bernard Fresson zusammenbringt, beginnt für Fresson und Annie Girardot eine siebenjährige Beziehung.

Claude Jade und Bernard Fresson in „Les feux de la chandeleur“

Nachdem es bereits in der Ehe mit Salvatori, von dem sie sich trotz ihrer Liebesbeziehungen mit Jacques Brel im Jahr 1972, der zweijährigen Liaison mit Claude Lelouch und auch in den Jahren mit Bernard Fresson nie scheiden ließ, zu häuslicher Gewalt kam, verlässt sie ihn wegen jenes Verhaltens. Auch Fresson wird laut vielen Berichten, zuletzt auch in der 2024 erschienenen Dokumentation „Elle parle d’elle“ von Giulia Salvatori, als gewalttätig beschrieben: Die Zeit mit Bernard Fresson war laut Giulia eine schmerzhafte Zeit, in der Annie Girardot Opfer häuslicher Gewalt wurde. „Er war ein sehr wütender und gewalttätiger Mensch“, beschreibt Giulia Salvatori Bernard Fresson. „Körperlich wurde sie völlig massakriert. Es ist ein Geheimnis, das sie jahrelang gehütet hat. Sie hatte keine Zähne mehr, alles musste neu gemacht werden.“ Das Idyll mit den Familien am Drehort und dem Sujet des Films erscheint trügerisch, wenn wir heute wissen, dass sich Jean Rochefort, nach acht Jahren Ehe (1952-1960) von Élisabeth Bardin geschieden und dann zwanzig Jahre von 1960 bis 1980 mit Alexandra Moskwa verheiratet, diese für die Schauspielerin Nicole Garcia verlässt. Mit Garcia verbingt er sieben Jahre und bekommt mit ihr sein drittes Kind, Pierre; mit seiner letzten Frau, der zwanzig Jahre jüngeren Françoise Vidal, bekommt er 1990 und 1992 zwei weitere Töchter.
Unter diesen Vorzeichen der parallelen Leben ist der Blick auf die Institution Ehe – zwei Jahre nach Truffauts „Domicile conjugal“ – in „Les feux de la Chandeleur“ nahezu romantisierend oder antiquiert. 

Zwei Projekte bleiben in jenen Monaten unverwirklicht: Daniel Ceccaldi, ihr Vater aus Truffauts Doinel-Filmen will sie die Catherine in Shakespeares „Henry IV“ spielen lassen. Sein Plan scheitert ebenso wie Philippe Monniers Vorhaben, den Film „La mort amoureuse“ nach der romantischen Gruselgeschichte „Clairmonde“ mit Caude Jade als zum Leben erwecktem Vampir Clairmonde zu drehen. Doch für Claude Jade hat ohnehin ihr privates Glück mit Bernard Coste Priorität, von einem dritten Projekt erfährt sie erst 16 Jahre später.

Dass ihr einstiger Verlobter François Truffaut sie zu dieser Zeit für einen Film außerhalb des Doinel-Universums besetzen wollte, der ab Februar 1972 parallel zu „Les feux de la Chandeleur“ entstand, erfährt Claude Jade erst nach dessen Tod aus dem 1988 veröffentlichten Korrespondenzband „François Truffaut – Briefe“. Er schreibt Ende 1971 an Jean-Loup Dabbadie, seinen Co-Autoren zu „Une belle fille comme moi“ (Ein schönes Mädchen wie ich): „Ich halte die kleine Jade im Auge, sage ihr aber noch nichts, denn ich glaube, sie ist doch etwas zu jung.“ Die Rolle der männermordenden vulgären Camille Bliss spielt dann die zehn Jahre ältere Bernadette Lafont.

Als François Truffaut in den Vorbereitungen zu diesem Film steckt, schreibt er ihr am 31. Januar 1972: „Meine kleine Claude, ich danke für deinen Brief und entsprechend folge ich nun zum dritten Mal der Gepflogenheit, dir ein gutes neues Jahr zu wünschen: Liebe, Gesundheit, Arbeit – in genau dieser entsprechenden Ordnung oder auch in einer Unordnung (nein, nicht zu viel, denn du bist immer meine kleine Tochter). […] Vergiss nicht, eine wahre verantwortliche junge Frau zu werden und vergiss nicht, dass ich dich liebte auf eine gewisse Art und Weise und dich jetzt auf eine andere liebe, aber dieses Mal für immer. Ich umarme dich mit all meiner Zärtlichkeit, die unermesslich ist, wenn ich deinen Namen schreibe oder an dich denke, françois“ 

Als er ihr am 13. Februar erneut schreibt, schildert er die Arbeit am Film und schließt mit „Ich wünsche, dass Les Feux de la Chandeleur erfolgreich sein wird, besonders für dich, um endlich das Bild aus Le bateau sur l’herbe zu löschen und dich als sehr angenehm in die Köpfe der Leute zurückzurufen; ich umarme dich sehr zärtlich, du bist wirklich meine 3. Tochter,
dein françois.“



Nur zwei Wochen nach Drehschluss zu „Les feux de la chandeleur“, in dem sich ihre Laura mit dem von Bernard Fresson gespielten Marc verlobt, folgt in Dijon die Verlobung mit Bernard Coste. François Truffaut schreibt ihr am 22. März: „Meine kleine Claude […], deine Nachricht von deiner Verlobung begeistert mich nicht, du solltest dieses Vorhaben in Zweifel ziehen. Du bist ungeduldig in deiner Absicht, zu heiraten, um eine Frau zu werden; meine Idee ist, dass du dich bemühen solltest, erst eine Frau zu werden und danach zu heiraten, voilà. In neun von zehn Fällen in der Geschichte des Paares ist jene eine Beziehung des Kräftemessens; das sollte zwar nicht so sein, ist aber nichts anderes als das und unter diesem Gesichtspunkt eines Kräftemessens kannst du momentan noch nicht die Gewinnnerin sein (und ich füge hinzu, dass sogar die Gewinnerrolle undankbar ist.)   Das, was ich dir da sage, bringt nichts, strikt gar nichts, denn wenn man das Verlangen hat, die Sachen zu machen, ganz stark und ohne Bedenken, wird man gegen jede Argumentation daran festhalten.“

Hier widerspricht François Truffaut eindeutig dem, wo die Mutter in „Les feux de la chandeleur“ die Tochter gern sähe. 

Michel Legrand, Annie Girardot, Jean Rochefort, Bernard Fresson, Claude Jade, Bernard Le Coq und Serge Korber in Cannes, Mai 1972

Das Festhalten der zentralen Heldin von „Kerzenlicht“ an ihren Überzeugungen am Eheglück gegen den Widerstand der Kinder im Film findet in der Kritik Ablehnung und Zustimmung. Einige finden es falsch, dass die politisch aktive Frau ihre Erfüllung im privaten Glück mit ihrem altmodischen Ehemann zurücksehnt und auch ihre Tochter dort sehen will. Hierbei vergessen einige, dass in Sachen Emanzipation die Tochter die Ideale der Mutter fortsetzt, auch wenn sie sich am Ende auf den Lehrer Marc einlässt. Ungeachtet dessen lobt die deutschssprachige schweizer Coop-Zeitung: „Es ist das außerordentliche Spiel der vorzüglichen Darsteller, die diesen Film glaubhaft machen, der in keiner Szene in Richtung Schnulze abrutscht. […] Die Fragwürdigkeit vom Glück des einzelnen im brüchig gewordenen Familienverband ; die Belastung einer Gruppe durch den nicht angepassten einzelnen in fragwürdig gewordenen Strukturen ; der Einbruch des Irrationalen in eine Gruppe von Menschen, die nicht nur familiär verbunden sind und die Abwehr dieses Irrationalen durch Ausbruch einer ganz unvermuteten weiteren Irrationalität und die schließliche Trauer aller Beteiligten; all diese Komponenten menschlichen Beisammenseins bringt dieser Film sehr subtil und entschieden vor.“

Reportage zu den Dreharbeiten mit Interviews


Der Film wird ein großer Erfolg, hält sich in Paris acht Wochen in den Top 10 und holt in Frankreich 1,5 Millionen Zuschauer.

Nach einer Ausstrahlung der Fernsehsendung „Cadet Rousselle“ schreibt Maurice Clavel im Mai 1972 im „Nouvel Observateur“ über ihren Auftritt in der Show: „Der junge Star Claude Jade, deren Talent in ‚Sheherazade’ ich hier kürzlich gespriesen habe, antwortet auf die Frage nach aktuellen Projekten: ,Ich drehe gerade einen Film, dessen Hauptdarstellerin Annie Girardot ist.’ Andere würden sagen: ‚Ich drehe einen Film’, oder höchstens ‚einen Film mit Girardot’. Welch Begeisterung legt sie in eine so auserlesen bescheidene Zurückhaltung!“

Wenn Bescheidenheit die dauerhafteste, die beständigste Form von Glück garantiert, dann war Claude Jade Anfang 1972 vor allem eins: glücklich. Und im Dezember des Jahres 1972 beginnt die Ehe von Claude und Bernard.

 

 

 

 

Im Juli 2025 erscheint „Les feux de la Chandeleur“ bei coin de mire.