Heute vor 40 Jahren begann in Frankreich die Ausstrahlung des Sechsteilers „Die Insel der dreißig Särge“, der in Deutschland als Zwölfteiler unter dem Titel „Die Insel der 30 Tode“ lief. VL Media schreibt heute dazu: „Wer sagt, man wisse in Frankreich nicht, wie man eine Genre-Serie macht? Noch nach 40 Jahren vermag die „Insel der dreißig Särge“ die Zuschauer in Angst und Schrecken versetzen. Mit einer schrecklichen Geschichte und einer bis dahin noch nie dagewesenen Atmosphäre ist sie zu jeder Zeit ein Erfolg.“
C’était il y a 40 ans… L’île aux trente cercueils
Die Handlung spielt im Jahr 1917. Veronique d’Hergemont (Claude Jade) ist eine junge Frau von Ende Dreißig und will eine schreckliche Vergangenheit vergessen. Sie kann dem bösartigen Vorski den Tod ihres Vaters und Sohnes François, die auf See verunglückten, nicht verzeihen. Beider Tod ist für sie die Strafe dafür, dass sie gegen den Willen ihres Vaters den Comte Vorski geheiratet hatte …
Nun erreicht sie die Nachricht von Vorskis Tod und die tragische Vergangenheit holt Véronique erneut ein, als sie ihre Initialien (V d’H) in einem Stummfilm entdeckt. Sie reist an den Drehort in die Bretagne, findet einen Toten mit abgetrennter Hand und folgt unheimlichen Symbolen auf die Insel Sarek, die in der Region als „die Insel der dreißig Särge“ bekannt ist. Mit Véroniques Ankunft beginnt der Alptraum, denn eine Prophezeiung erfüllt sich … Die Initialien „V.d’H.“ prägen sich mit der Verfilmung bei Generationen von Fernsehzuschauern ein.
Die neben der Christine populärste Rolle ihrer Karriere hätte Claude Jade fast nicht erhalten, weil sie als „zu jung“ galt. Jean Meyer hatte ihr prophezeit, dass eine Frau nie so schön sein würde wie mit dreißig Jahren. Die Rolle der Véronique ist verlockend. Doch Claude Jade sei entschieden zu jung, erklärt ihr Regisseur Marcel Cravenne und als sie sein Büro verlässt, fällt ihr im Vorzimmer eine etwas ältere Schauspielerin von skulpturaler Statur auf. Doch sie will die Rolle unbedingt und ähnlich wie bei „Mon oncle Benjamin“ insistiert sie auf erneute Probeaufnahmen, steckt sich den mädchenhaften Pferdeschwanz zu einem strengen Dutt, senkt die Stimme – und überzeugt die Produktion, die Rolle mit ihr zu besetzen.
Die so zart anmutende Claude Jade ist in den Szenen einer Ehe mit dem monströsen Vorski von einer leidenschaftlichen Kraft, wenn sie ihm nach dem Erwachen aus der einstigen Verzauberung mit kalter Verachtung begegnet und ihm dann ihren blanken Hass entgegenschreit.
Die fünfmonatigen Dreharbeiten sind trotz der Strapazen der Heldin für Claude Jade, die jeden Tag disponiert ist, ein Vergnügen. Sie verbringt die Monate im Dorf Plouharnel, einige Kilometer von Carnac entfernt und am Meer gelegen. „Entre Mers et Mystères“ nennt sich der Ferienort in Eigenwerbung. Ein Kindermädchen betreut Pierre und eine Köchin ist ebenfalls angestellt. Es ist das einzige Mal in ihrer Karriere, dass sie einen solchen Service nutzt. Claude Jade erlebt am Set, wie die Styropor-Menhire von Männern à la Obelix getragen werden und wandelt durch eine Blumenwiese oberhalb des „Gottesteins“, deren prachtvolle Blüten ihre Stirn überragen.
Allein durchschreitet „die kleine Jade“ im Sinne von François Truffauts Kosenamen das Feld mit den riesigen Blumen von Maguennoc, eine Sequenz, in der sie wirkt, als sei sie jene – hier von einer unsichtbaren Herzkönigin bedrohte – Alice im Wunderland, mit der sie sich einst bei Hitchcock beworben hatte.
Der sechsteilige Film lebt von der zentralen Präsenz Claude Jades, die einen Großteil allein auf der Insel ist (oder sich allein wähnt). Die meisten Inselbewohner finden kurz nach Véroniques Ankunft bei einem Massaker den Tod, denn es gibt „dreißig Särge für dreißig Opfer“. Ihre Partner sind beeindruckend: Neben dem bedrohlichen und im Wahn folgerichtig theatralischen Jean-Paul Zehnacker als Vorski, Julie Philippe als dessen ebenso dem Wahnsinn verfallene Handlangerin und Marie Mergey als gütiger Honorine ist der junge Pascal Sellier, Star der Pubertätsromanze „Amant de poche“, in einer herausfordernden Aufgabe zu erleben.
Schüchternen Charme zeigt Yves Beneyton als Philippe Maroux und Véroniques Vater spielt Georges Marchal: Der Star aus Buñuels Filmen „Pesthauch des Dschungels“, „Morgenröte“, „Belle de Jour“ und „Die Milchstraße“ ist der Ex-Mann von Claude Jades „Topas“-Filmmutter Dany Robin und spielte später einen der Zeugen im Gerichtssaal von „L’honneur d’un capitaine“.
Und dann sind da die Archignat-Schwestern: neben Edith Perret und Pierrette Thevenon ist es vor allem Dominique Marquas als Sidonie Archignat, die, dem Wahnsinn verfallen, ihre Prophezeiungen wie Psalme schmettert und ihr Lachen einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Die Schwestern Archignat (Edith Perret, Dominique Marcas, Perette Thevenon) und Véronique (Claude Jade)
Claude Jade zeigt etliche emotionale Gegensätze: eine kraftvolle doch in ihrer aristokratischen Herkunft meist zurückgenommen gespielte Rolle. Sie überzeugt in all den Extremen an leidenschaftlichem Gefühl, an Resignation, Selbstzweifel und kämpferischer Leidenschaft. Marcel Cravenne beschreibt Claude Jade später als „eine typische Ingmar-Bergman-Heldin“.
Sowohl in Frankreich als auch in Deutschland erscheint „L’île aux trente cercueils“ immer wieder auf DVD – zum Wieder- oder Neuentdecken.