Testpublikum ist für Regisseure eine der fatalsten Erfindungen des Filmindustrie. Ein paar Leute entscheiden, dass er sein Werk umschneiden muss. „Casablanca“ zum Beispiel fiel vor einer solchen Horde durch.
In Fall von Hitchcocks „Topas“ war es das Ende, bei dem sich die Gegenspieler André Devereaux und Jacques Granville im Stade Charléty duellieren – und Granville von einem Heckenschützen niedergestreckt wurde. Das Publikum verstand nicht und senkte den Daumen. Hitchcock drehte nun eine Version, in der Granville nach Moskau abreist. Auch dieses Ende kam nicht an und so wurde aus bereits vorhandenem Material Granvilles Selbstmord zurechtgeschnibbelt: Eigentlich ist es der Rücken einer anderen Figur, die in Granvilles Haus verschwindet.
Und so endet diese von Universal auferlegte Version: Nach dem Schließen der Tür arretiert das Bild und wir hören einen Schuss. Seit dem 1. Januar 1970 läuft der Film „Topas“ in Deutschland in der von Hitchcock nicht gewollten Version. Seit 17 Jahren läuft in einigen Programmkinos der Director’s Cut, 17 Minuten länger als die alte deutsche Kinoversion. Und ebenso lange gibt es die längere und von Hitchcock favorisierte Fassung auf Video – inzwischen längst auch auf DVD, allerdings nicht in einer deutschen Version.
Hitchcocks Fassung wird der Adaption des ausufernden Romans gerechter als das, was wir heute abend auf 3sat sehen – oder auf der deutschen DVD von Universal.
Die 17 zusätzlichen Minuten zeigen ein komplexeres Bild der Figuren und lassen den Film weniger verworren wirken. So wird die Familie des russischen Überläufers von ihren amerikanischen Rettern unter Druck gesetzt.
Drei Modellköpfe von Boris Kuzenov, seiner Frau Olga und Tochter Tamara als Verkörperungen des amerikanischen Traums werden vom Ex-KGB-Mann auf den Boden geworfen, Tamara weint um die zerstörte Hoffnung, ein All-American-Girl zu werden und CIA-Mann Nordstrom droht den dreien, sie vor der nächsten russischen Botschaft auszusetzen.
Den Kuzenovs zugewiesen wird auch eine Betreuerin: Mrs. Forsyth wird von Ann Doran gespielt, James Deans Mutter in „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Auch sie wird heute abend nicht auf 3sat mit dabei sein. Und ebenso fehlt die Szene, in der Mike Nordstrom (John Forsythe) fragt, weshalb eine tödliche Waffe im Salon der Devereaux‘ an der Wand hängt. Nicole Devereaux (Dany Robin) erklärt, dass es ihre sei und sie damit in der Résistance gekämpft hätte. So zerstört sich in der kurzen Sequenz die Imago vom blonden Püppchen, das den Kalten Krieg verdammt – und der Verweis auf ihre Vergangenheit in der Résistance ist nicht unerheblich für den Fortgang der Geschichte des Ehebruchs von Nicole.
Hitchcock absolviert seinen Kurzauftritt in einem Rollstuhl, aus dem er überraschend aufsteht, bei der Ankunft von Devereaux‘ Tochter Michèle (Claude Jade) und deren Mann François Picard (Michel Subor) am New Yorker Flughafen La Guardia.
Keine Sorge heute abend: Die Ankunft des Paares und das Plaudern sind geblieben, doch einige Dialoge fehlen.
Die feine Ironie der Szene schließt sich – nur bei Hitchcocks Version – mit Michèles Schwärmerei für ihren Mann (François: „With a wife like this, one can afford to be modest“) und für die Delegierten der UNO: „… especially the Africans with their marvellous robes. And the Cubans. O I like the Cubans. They are so wild.“ Wie wild, verrät der Film wenig später. Der deutsche Fernsehzuschauer verpasst dieses clin d’œil.
Die von Karin Dor gespielte Juanita ist wie ihr Liebhaber Rico Parra eine tragische Figur des Films. Doch diese Frau, die in einer riesigen Villa mit patentem Personal unter der politischen Situation auf Kuba leidet, darf im Director’s Cut schadenfroh lachen. Sie freut sich, Parra ein Schnippchen zu schlagen. In der deutschen Fassung ist sie wenig gut gelaunt.
Auf einer Autofahrt vom Flughafen Orly nach Paris berichtet André (Frederick Stafford) von seinen Problemen, doch Michèle wirft ihm vor, Nicole betrogen zu haben. Dem Zuschauer entgeht nicht nur eine der für Hitchcock typischen künstlichen Rückprojektionen sondern auch die Borniertheit des Antihelden. Natürlich, so André zu Michèle, würde er, der gerade noch in Juanitas Armen lag, mit ihrer Mutter reden. Sie habe außerdem ihn verlassen.
Was Sie sonst noch verpassen? Ein Gespräch zwischen Claude Jade und Frederick Stafford über den Reichtum Jacques Granvilles (Michel Piccoli) vor dessen Haus. Michèle (Claude Jade): „Er hat dieses Haus hier, dann eines an der Côte d’Azur und eines in der Schweiz.“ André: „Jacques hat immer schon ein Auge für gute Dinge“.
Auf der Party von Jacques Granville versucht Michèle, ihre Eltern zu versöhnen und André hat die Hoffnung, mit Jacques (Michel Piccoli) und Claude Martin (John van Dreelen) Topas zu enttarnen. Wir erfahren nur in der englischen Version, dass André, Nicole und Jacques einst gemeinsam in der Résistance kämpften – und dass Jacques in Nicole verliebt war. Nicht unerheblich, fand Regisseur Hitchcock.
Dies waren die Szenen, die den Filmgenuss der deutschen Version ein wenig ergänzen.
Zum Abschluss noch die Enden, die von Hitchcock favorisiert wurden.
Die Abreise des Schurken nach Moskau:
Und das Duell, von dem neben dem Testpublikum auch Andrés Angehörige vorab nicht begeistert sind.
Und nun ein Spoiler, sollte das Ende doch einmal in einer deutschen Fassung zu sehen sein.
Dennoch viel Vergnügen – mit kleinen Abstrichen – mit Alfred Hitchcocks „Topas“
Mehr über den Film hier im Blog unter: Alfred Hitchcock – Topaz
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